Prolog

Prolog im Jahr 2010

 

Jetzt, wo ich all das Geschehene hier niederschreibe, sind mehr als drei Jahre vergangen, seit dem die Katastrophe über mich hereinstürzte. Es war ein Sommermärchen, das Ende Juli, Anfang August 2006 begann, nicht ganz zweieinhalb Monate dauerte, durch kräftige Herbstgewitter, die rund sieben Monate donnerten und blitzten, abgelöst wurde, und am Schluss mit heftigen Schneegestöbern endete, die im Grunde bis heute andauern und noch immer durch meinen Kopf fegen.

Nichts ist beendet.

Kann etwas beendet sein, wenn jemand ganz bewusst versucht, ein Ende dadurch zu erreichen, in dem er, oder genauer gesagt sie, mit Absicht einen Streit vom Zaun bricht, sich dann einfach verkrümelt, versteckt, tot stellt, nicht mehr zu fassen ist, und dadurch der Streit eben nicht, wie es sich eigentlich gehört, beendet wird, sondern weiterhin im Raum stehen bleibt? Und das alles nur, um die Beziehung nicht im Guten, also friedlich, mit einer Aussprache beenden zu müssen, sondern in der Hoffnung, diese Aussprache vermeiden zu können, ganz bewusst versucht, da sie nicht gelernt hat, ihre Schwächen einem anderen anzuvertrauen, die Beziehung im Streit zu beenden, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Und es ihr dabei völlig egal ist, wie der andere sich dabei fühlt, wie sehr er durch so ein Verhalten verletzt wird.

Oder auch das noch genauer ausgedrückt, man schon vor vielen Jahren der Frau, die feststellt keine Beziehung haben zu können, jegliches Vertrauen, das man braucht, um Schwäche zeigen zu können, was für eine Beziehung, wie auch für deren Beendigung »im Guten«, nötig wäre, ausgetrieben hat. Und sie dadurch eben nicht in der Lage ist, nachdem sie sich schon eingestehen musste, dass sie nicht beziehungsfähig ist, eine Beziehung so zu beenden, wie es zwischen zwei Menschen doch selbstverständlich sein sollte.

Kann etwas beendet sein, wenn ein Mensch bereit ist, mit allen Mitteln zu verhindern, und man könnte dabei dieses »mit allen Mitteln zu verhindern« schon fast wörtlich nehmen, sich mit sich selbst und seiner eigenen existenziellen Wirklichkeit beschäftigen zu müssen, und dafür sogar bereit ist, über Leichen, zumindest über seelische Leichen, zu gehen?

Schon bei Rainer Werner Fassbinder heißt es: „Angst essen Seele auf.“ Was macht man mit einer Frau, deren Seele vor Angst so zerfressen ist, dass sie, ohne jegliche Skrupel, obwohl Skrupel der falsche Ausdruck ist, da die Person gar nicht selbst erfassen kann, was sie da anrichtet, auf einer anderen Seele so lange mit aller Kraft herumtrampelt, dass auch diese nur noch ein blutiger, klumpiger Haufen ist? Wobei der Täterin, vor vielen Jahren selbst Opfer, jegliche Empathie fehlt. Die hat man ihr nämlich bereits vor langer Zeit herausgestoßen, sodass sie gar nicht in der Lage ist, überhaupt zu kapieren, was sie da anstellt.

Schon Dostojewski hat sinngemäß geschrieben, dass Missverständnisse nur durch Reden beseitigt werden können. Nicht nur eine weise, sondern eine wahre Erkenntnis. Aber was macht man, wenn eine Frau ganz bewusst Missverständnisse in der Hoffnung ausstreut, nicht reden zu müssen, weil sie gar nicht reden kann? Um reden zu können, muss man vertrauen können. Wie soll das gehen, wenn das Vertrauen ihr schon vor vielen Jahren ausgetrieben wurde?

Kann etwas beendet sein, wenn eine Frau, als sie ihre (die erste) Flucht, von ihrem Partner weg, plant, bei einem Ausflug mit Freunden schon den ganzen Tag zu ihrem Partner regelrecht abweisend ist, dann aber plötzlich, als ob sie auf dem weiten Meer völlig alleine am Ertrinken ist, sich auf ihn stürzt und ihn umklammert, als wäre er der einzige Rettungsring auf weiter See? Und als er dann vorsichtig die Arme um sie legt und zärtlich fragt: „Ej, Mädchen, was ist denn los mit dir?“, sie daraufhin erst merkt, was sie da gerade macht, ihn regelrecht, als ob er die Pest und Cholera gleichzeitig hat, weg stößt, „Nichts“ sagt, und abweisend, mit einer steinernen Maske im Gesicht, schweigend, darauf achtend, dass mindestens zwei Meter Abstand zwischen ihr und ihm herrscht, wieder neben ihm hergeht, und er nicht an sie herankommt, da sie sofort, wenn er sich nähert, ausweicht.

Kann etwas beendet sein, wenn dieselbe Frau einen Tag später, immer noch abweisend, auf die Frage, was denn nun mit ihr los wäre, zuerst nicht antwortet, und als man drängelt, auf einmal die Antwort kommt: „Du stellst die falsche Frage.“ Und wenn man auf diese Antwort verstört nachhakt, man immer noch mehrmals: „Du stellst die falsche Frage“, als Antwort erhält, und zum Schluss des Abends, nach ewigem Herumgeeier, schließlich mit Tränen in den Augen und schluchzender Stimme: „Du bist das Beste, was mir je in meinem ganzen Leben passiert ist, aber ich muss über unsere Beziehung nachdenken.“

Was soll man machen, wenn dieselbe Frau einen mitten in der Nacht, nach der ersten Flucht war sie nach einer Woche wieder zurückgekommen, während man nebeneinander im Bett liegt, aufs Schlimmste beleidigt und demütigt, sodass man vor Schock und Irritation völlig sprachlos ist, und einem, wenn auch erst viel später, klar wird, dass sie diese Beleidigungen und Demütigungen eben genau deshalb von sich gegeben hat, um dem Reden zu entgehen, sie das alles nur in der Hoffnung inszeniert hat, damit man voller Wut, denn das hatte sie gewollt, mitten in der Nacht, ohne Aussprache, Tür knallend, das Bett, die Wohnung, die Stadt und na klar auch, um sich nie wieder blicken zu lassen, sie verlässt?

Was soll man machen, wenn dieselbe Frau, da man wider Erwarten nicht einfach die Tür knallend verschwunden ist, als man ihr am Morgen danach doch noch ein Gespräch abgerungen hat, mit versteinertem Gesicht einem sagt, sie möchte auch andere Männer kennenlernen und mit ihnen ins Bett steigen; sie aber ein paar Sekunden später, plötzlich nicht mehr mit versteinerter Miene, sondern im Gegenteil mit Tränen in den Augen, völlig aufgelöst einen regelrecht anschreit, dass sie völlig verzweifelt ist, weil sie nicht weiß, ob man es denn mit ihr wirklich ehrlich und ernst meinen würde, ob man ihr wirklich die Wahrheit erzählt, wenn man ihr sagt, dass man alles in Bewegung gesetzt hat, um beruflich in ihrer Stadt Fuß zu fassen, um mit ihr zusammenzuziehen, zusammen zu sein, zusammenzuleben, dass man für sie das Lebensziel, das man hatte, bevor man sie kennenlernte, wirklich bereit sei zu ändern?

Was soll man machen, wenn dieselbe Frau, sechs Wochen nach der endgültigen Beendigung der Beziehung durch Streit und Missverständnisse, doch noch zu einem Telefongespräch bereit war, aber dieses nur mit versteinerter Miene (die konnte man regelrecht durch das Telefon spüren), und dabei abermals nur Ausflüchte von sich gab, von wegen, „Ich habe dich nie geliebt; ich wusste von Anfang an, dass es mit uns falsch war; alles, was ich während der Beziehung gesagt habe, hat keine Bedeutung; das Einzige was zählt, ist, dass ich nicht will.“ Und dann auf einmal mit schluchzender Stimme es regelrecht aus ihr heraus bricht: „Ich werde nie wieder eine enge Beziehung eingehen. Wenn es selbst mit dir nicht geklappt hat, klappt es auch mit keinem anderen.“

Alleine diese Aussage muss man sich einmal in aller Ruhe auf der Zunge zergehen und einwirken lassen: „Wenn es selbst mit dir nicht geklappt hat, klappt es auch mit keinem anderen.“

Was soll man machen, wenn man bei Freunden, wegen des Verlustes einer wirklich tollen Frau, denn das ist sie ohne Zweifel, nach Hilfe sucht, und alles, was man als Antwort und guter Ratschläge bekommt, lautet:

Die ist nun mal so.“

Vergiss die Frau, die ist es nicht wert.“

Solche Schlampen laufen überall herum. Such dir eine Neue, und spiele mit der dann genauso.“

Was soll man machen, wenn man einfach nicht kapiert, was da passiert ist? Wenn man nur das Gefühl hat, mit voller Wucht gegen eine Wand geklatscht zu sein, man aber nicht versteht, warum. Und man auch noch nach mehreren Jahren das Gefühl hat, immer noch an dieser Wand zu kleben, und nicht so richtig weiß, wie man von ihr loskommt.

Und was soll man machen, wenn man nach vielen Monaten endlich die ganze Tragweite erkennt und dabei dann feststellt, dass man darüber mit niemandem reden kann? Mit Leuten darüber reden, hieße Hilfe suchen, Antworten erwarten. Aber was für Antworten, welche Hilfe sollten sie denn einem geben? „Vergiss die Frau, die ist es nicht wert“, oder „Mein Gott, die war schon immer so; stell dich nicht so an, es gibt andere“, zieht nun überhaupt nicht mehr.

Und wenn man von Freunden doch Hilfe angeboten bekommen würde, was soll man denen sagen, ohne die Frau bloßzustellen, ohne dass ihre Gefängnismauer, ihre Fassade, unkontrolliert über sie einstürzen, und sie unter der Mauer begraben werden würde?

Was soll man machen?

Oder eine noch viel schwierigere Frage:

Wie soll man damit selber klarkommen – selbst in Frieden weiter leben? Man kann ja auf die Frau nicht einmal sauer sein, sie nicht einmal zum Teufel wünschen. Sie hat ja irgendwie keine Schuld für das, was sie einem angetan hat. Wenn man schmählich verlassen wird, kann man die Trennung auch durch Wut, durch Verfluchen der Person überwinden. Wie soll man sie aber verfluchen können? Sie ist doch nicht die Ursache ihres Verhaltens.

Niemand will jemanden loswerden und klammert sich gleichzeitig an ihm geradezu verzweifelt fest. Niemand will wirklich mit anderen Männern ins Bett und hat gleichzeitig Angst, dass der Partner selbst ein Hallodrijan ist, dem man nicht vertrauen kann. Niemand will wirklich jemanden wegwerfen, wenn man doch der Meinung ist, dass der das Beste sei, was einem im ganzen Leben passiert ist.

Aber alle sagen: „Vergiss die Frau.“

Wie soll das aber gehen?

Auch eine Frage ohne Antwort. Es gab und gibt nur Fragen. Fragen, Fragen, Fragen, aber keine Antworten.

Dafür, dass ich mich letztendlich hingesetzt habe, um das alles niederzuschreiben, trägt mein Anwalt die Hauptschuld. Was man mir vorgeworfen hat und wie man sich mir gegenüber verhalten hat, hielt er, da war er anderer Meinung als die Beraterin der Frauenhilfsorganisation, bei der ich versucht habe, mir Rat zu holen, moralisch verwerflich. Moralisch verwerflich, aber nicht unbedingt strafrelevant. Dazu hatte sie sich bei den Vorwürfen, notgedrungen, da sie absolut aus dem Zusammenhang gerissen und daher konstruiert waren, zu verschwommen ausgedrückt. Aber trotzdem meinte er, gäbe es eine Möglichkeit für einen juristischen Schritt. Nachdem ich aber die ganze Tragweite der Geschehnisse, leider viel zu spät, begriffen hatte, war mir eine friedliche Lösung immer wichtiger geworden. Aber mein Anwalt sagte ganz klar: „Vergessen sie es. Es wird von der Frau kein Einlenken geben, denn dafür ist sie bereits zu weit gegangen. Das mag moralisch verwerflich sein, und eine erwachsene Frau, egal was ihr in ihrer Kindheit passiert ist, sollte sich, erst recht, wenn sie selbst in einem therapeutischen Beruf arbeitet, so weit fangen können, um genug Einsicht zu haben, dass sie Hilfe benötigt, und sich helfen lassen. Aber in diesem Fall wird es nur auf einen »Showdown« vor Gericht hinauslaufen. Wenn sie Skrupel haben, die Frau vor Gericht bloßzustellen, wenn sie Skrupel haben, die von der Frau selbst gebauten Gefängnismauern, hinter der sie sich verkriecht, vor Gericht in Schutt und Asche zu legen, was für die Frau sicherlich ein »Super-GAU« wäre, verzichten sie auf eine gerichtliche Auseinandersetzung und verarbeiten sie die Sache anders.“

Somit hat mein Anwalt Schuld, wenn ich, statt nachts im Bett schlaflos auf und ab zu gehen, mich an den Computer gesetzt habe, um in die Tasten zu hauen. Das meiste hier ist irgendwann zwischen zwei und sechs Uhr morgens geschrieben worden. Wenn man von einigen späteren Feinarbeiten, Ergänzungen und Streichungen absieht, binnen acht Wochen. Ich wollte das Ergebnis zuerst »Schlaflos in Lübeck« nennen, aber es ist keine Liebesgeschichte, und endet auch nicht Hände haltend auf der Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers oder der St. Petrikirche. Daher habe ich mich anders entschieden.

Der Titel – »Du weißt doch, Frauen taugen nichts« – ist keine Provokation, sondern war eine Begründung von ihr, um mir verständlich zu machen, warum die Flucht, von mir weg, geschah.

 

Aber genau das verstand ich eben nicht.