Kapitel 13 - Ein Herzog ist wütend

 

aus dem Buch:

Der Hügel Buku

Lübeck - Eine Siedlung wird gegründet

 

 

Der herzogliche Vogt stand verzweifelt hinter seinem Arbeitspult. Das herzogliche Kontobuch lag aufgeschlagen vor ihm. Mit starrem Blick schaute der Vogt durch ein kleines Fenster nach draußen, wo die Wintersonne langsam die nächtliche Kälte, an diesem Wintertag des Jahres 1152, aus Bardowick vertrieb und etwas Licht in den sonst dunklen Raum brachte. Die Wände des Raumes waren teilweise mit Holzpaneelen verziert, teilweise, auf gekalkter Wand, mit christlichen Motiven bemalt, teilweise mit Teppichen verhangen, die die Kälte, die von draußen durch die Wände drang, abhalten sollte. Die drei Fenster des Raumes bestanden jeweils aus, in Blei eingefassten, kleinen Glasvierecken.

Bardowick war eine reiche Stadt, und er, der herzogliche Vogt, konnte sich schon etwas Luxus leisten. Immerhin repräsentierte er in dieser Stadt die direkte Macht des Herzogs. Vor ihm ging sein Lehnsherr, in einem kostbaren Pelzmantel, der fast bis zum Boden reichte, wütend auf und ab. Der Vogt bemühte sich, die wütenden Schritte des Mannes zu ignorieren, und starrte weiter unbeirrt durch das Fenster auf den Kirchturm, der gegenüber des Marktplatzes zu sehen war.

»Ob der Mantel aus Pelzen, die die Lübecker Kaufleute im Norden eingekauft haben, genäht ist«, fragte sich der Vogt im Stillen. Der Vogt hatte bis jetzt noch nie solch einen Mantel gesehen. Einen ganzen Mantel, komplett aus Pelz, der nicht aus schwerem Bären- oder Wolfsfell bestand, sondern aus edelstem Zobel.

Er wusste, dass es Zobel war. Einer der Lüneburger Händler, die letztes Jahr in Lübeck gewesen waren, um dort Salz zu verkaufen, hatte ein paar Pelze mit gebracht und, bei der Durchreise, zurück nach Lüneburg, auch ihm angeboten. Bei dem Preis, den der Händler verlangt hatte, hatte er aber passen müssen. Und im Grunde glaubte er immer noch, dass der Händler ganz genau gewusst hatte, dass er sich solch einen Pelz nicht hätte leisten können, und ihn, den Vertreter der herzoglichen Macht in dieser Stadt, mit dem Angebot nur erniedrigen wollte.

Leicht war der Mantel; das sah man schon, wie er am Körper des Herzogs lag und bei jeder Bewegung des Trägers mitschwang; und doch, so sagte man zumindest, wärmte der Pelz mehr als ein Bärenfell. Auch fehlte dem Mantel der leicht modrige Geruch, der einem Bärenfell, selbst wenn er nicht feucht war, immer anhaftete.

»Der Mantel ist neu«, dachte der Vogt bei sich. Es war das erste Mal, dass der Mann, der wütend in seinem Amtszimmer auf und ab ging, solch einen Mantel trug.

»Die Pelze für den Mantel mussten aus Lübeck stammen. Wer sonst, außer der Lübecker Händlergemeinschaft, konnte so etwas in solchen Mengen liefern. In Mengen, dass man sogar einen ganzen Mantel daraus nähen konnte. Und wie teuer war wohl so ein Mantel«, fragte der Vogt im Stillen sich selbst. »Wie viele Männer im Reich gab es überhaupt, die sich solch einen Pelzmantel leisten konnten? Sicher nicht viele. Wohl kaum ein Graf wäre dazu in der Lage, und auch die meisten Herzöge im Reich würden wohl vor Neid platzen, wenn sie den wütenden Mann, in diesem Pelz, sehen würden. Und was war mit dem König? Hatte der überhaupt so einen Mantel – aus Zobel?«

Und doch hatte der Vogt gerade von dem Mann, der, in diesem kostbaren Pelzmantel, wütend durch das Zimmer auf und ab stapfte, eine Schimpfkanonade über sich ergehen lassen müssen, dass man den Eindruck gewinnen konnte, der Mann hatte sein ganzes Vermögen verloren, und war nur noch ein Bettler, abhängig von Almosen. Und er, der Vogt von Bardowick, war der Schuldige für die plötzliche Armut des Mannes. Zumindest klang es so aus den Beschimpfungen heraus. Und in gewisser Weise war es auch so.

Wenn Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen, und berechtigter Anspruchssteller auf den Herzogstitel von Bayern, behauptete, der Vogt wäre an den Verlusten des Herzogs Schuld, dann war es auch so. Heinrich, einer der mächtigsten Herzöge des Reiches, hatte auf jeden Fall recht; selbst wenn der Vogt nicht sehen konnte, wie er die Verluste hätte verhindern können.

Die Salzsalinen in Lüneburg stehen still. Die Lagerhäuser sind voller Salz, aber es wird viel zu wenig verkauft“, schrie der Herzog, immer noch wütend auf und ab gehend, in den Raum hinein. Heinrich schaute dabei nicht auf den Vogt. Der Vogt war ihm egal.

Der Handel in Bardowick liegt danieder, da die Lübecker die Frechheit haben, an Bardowick vorbei, mit der Hammaburg, und was noch viel schlimmer ist, mit diesem Scheusal von Erzbischof in Bremen Handel zu treiben. Als ob ich mit dem Erzbischof nicht schon genug Ärger habe.“

Dem Vogt war bekannt, dass der Erzbischof von Bremen, als Metropolit, die Gebiete, die Herzog Heinrich im Osten erobert hatte, missionieren wollte, und dieses, am Herzog vorbei, beim König beantragt hatte. Dabei hatte der Herzog doch so seine eigene Vorstellung davon, wer, selbstverständlich unter seiner Kontrolle, die eroberten Gebiete zum Christentum bekehren sollte. Ein Erzbischof aber, der kirchliche Macht zu gerne auch mit weltlichen Herrschaftsansprüchen verwob, passte da gar nicht in das Konzept des Löwen.

Ich führe doch keinen Kreuzzug durch, damit dieser Pfaffe sich dann das Gebiet unter den Nagel reißt“, ging die Schimpfkanonade weiter.

Während Herzog Heinrich diese Sätze vor sich hin schrie, war er weiter in der Amtsstube des Vogts wütend auf und ab geschritten. Nun stellte er sich genau so vor den Vogt auf, dass dieser nicht mehr, am Herzog vorbei, aus dem Fenster schauen konnte, und schaute den Vogt Zähne fletschend an.

Und ich beauftrage Graf Adolf nicht den Norden zu kolonisieren, damit seine Siedlung meiner Handelsstadt Konkurrenz macht, und sich dafür auch noch das Salz aus seiner gräflichen Saline holt, und Lüneburg, genauso wie Bardowick, mir kein Geld mehr einbringt. Ich bin doch kein Hanswurst, mit dem man so etwas machen kann.“

Der Vogt wurde unter dem Blick des wütenden Herzogs immer kleiner. Am liebsten hätte er sich, wie eine Maus, unter die Fußbodenbalken verkrochen. Denn das stimmte nun wirklich, Herzog Heinrich war wahrlich kein Hanswurst.

Wo steckt der Graf im Moment eigentlich“, sprach der Herzog seinen Vogt jetzt direkt, unheilvoll ruhig an.

Ich weiß es nicht.“ Der Vogt begann, vor Angst, zu zittern. „Aber, so weit wie ich gehört habe, ist er im Winter, bevor der Frühling die Wege unpassierbar macht, immer noch mal auf Reisen, um sein Lehen zu begutachten. Er wird wohl irgendwo zwischen Oldesloe, Faldera, der Siegesburg oder Lübeck sein.“

Finde raus, wo er sich aufhält. Er hat so schnell wie möglich hier in Bardowick zu erscheinen.“

Der Vogt schaute seinen Herrn entsetzt an.

Los“, brüllte Herzog Heinrich und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Tür. Der Vogt schnellte zur Tür und rannte aus dem Raum. Mit fliegenden Schritten eilte er aus dem Haus zur Wache und gab dort den Befehl, Reiter nach Lübeck, Oldesloe und zur Siegesburg, und wenn es sein musste, weiter, bis zum Kloster Faldera zu schicken, um Graf Adolf II. von Schauenburg und Nordelbien nach Bardowick zu beordern. Sein Lehnsherr, Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen, wünsche ihn sofort zu sprechen.

 

Sechs Tage später ritt ein eindeutig wütender und genervter Graf Adolf II. von Schauenburg und Nordelbien durch das Stadttor von Bardowick. Auch wenn er ein treuer Vasall des Herzogs war, war er doch brüskiert über den Befehl, in Bardowick zu erscheinen. Der Bote, der ihn in der Siegesburg erreicht hatte, hatte angedeutet, dass der Herzog erbost über ihn war, weil die gräfliche Handelssiedlung an der Trave der Handelsstadt Bardowick das Geschäft abgraste, und dem Herzog dadurch Einnahmen entgingen. Als ob der Herzog von den Einnahmen Bardowicks abhängig sein würde.

Vor zehn Jahren hatte er von Heinrich dem Löwen die Aufgabe übertragen bekommen, das Gebiet nördlich der Elbe zu kolonisieren. Und das hatte er mit Erfolg gemeistert. Vor neun Jahren hatte er dann Lübeck gegründet. Und jetzt beschwerte sich der Herzog, dass er zu viel Erfolg hatte. Das war doch albern.

Nein, albern war es nicht. Er kannte den Herzog. Auch wenn dieser nicht unbedingt auf die Einnahmen, die die Lübecker aus Bardowick und Lüneburg abzogen, angewiesen war, wobei der Herzog auch an dem Erfolg der Lübecker verdiente, war es für den Herzog untragbar, dass sein Vasall ihn geschäftlich ausstach. Für Heinrich dem Löwen war das eine Sache des Prinzips. Es war dem Grafen nur allzu klar, dass das Gespräch mit seinem Lehnsherrn nicht leicht werden würde.

Der Graf ritt langsam durch die schmalen, mit Abfall und Kot verschmutzten Straßen zum Markt. Schweine, die sich von dem nahenden Reiter nicht besonders beeindrucken ließen, während sie mit der Nase im Abfall, der im Schneematsch der Straßen lag, wühlten, mussten regelrecht vom Pferd beiseite gedrängt werden.

Während in der Nähe des Stadttores nur Holzhäuser, wie es sie auch in Lübeck gab, vorherrschten, gab es am Markt richtige, zwei- und dreigeschossige Fachwerkhäuser. So eine Entwicklung wünschte Graf Adolf II. sich auch für Lübeck. Die letzten Jahre waren sehr erfolgreich gewesen und hatten ihm einen schönen Batzen an Steuern eingebracht. Wenn Lübeck sich so weiter entwickelte, würden auch dort bald Fachwerkhäuser gebaut werden. Graf Adolf II. wollte die Siedlung nicht, nur weil diese jetzt gute Steuereinnahmen brachte, an seinen Herzog verlieren.

Müde stieg er vor der Vogtei, die, wenn man von der Kirche absah, das größte Gebäude am Markt war, vom Pferd.

Ist der Herzog da“, fragte er die Wache, die vor der Tür stand. Der Soldat erkannte ihn, nickte und ließ ihn durch. Graf Adolf II. öffnete die Tür und ging in die Halle.

Der Herzog erwartet mich“, sprach er die Wache in der Diele an. Der Soldat machte eine Geste, dass der Graf hier warten sollte, und ging selbst die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf.

Kurz darauf hörte der Graf die schweren Schritte der Wache im Obergeschoss wieder zurückkommen. Der Wachmann ging die Treppe bis zum Absatz auf halber Höhe herunter und winkte dem Grafen zu. Dieser legte seinen feuchten und nicht gerade frisch riechenden Wollmantel, so wie Schwert und Dolch ab, und ging die Treppe hoch.

Zweite Tür rechts“, sagte die Wache nur, als Graf Adolf II. an ihm vorbei ging.

Der Graf öffnete die bezeichnete Tür und trat ein.

Der Raum maß ungefähr zwölf mal zehn Schritte, der größte Teil der Wände war mit Teppichen verkleidet. Dort, wo die Wände frei zu sehen waren, sah man bemalte Holzpaneele. Zur Straßenseite gab es zwei kleine Fenster, kunstvoll mit Bleiglas eingefasst. Es gab sicher nicht viele Häuser in Norddeutschland mit solchen Fenstern. Die Decke bestand aus kunstvoll bemalter Holzpaneele, die über Balken gelegt war. Auch der Fußboden bestand aus dicken Holzdielen. Es gab keinen Teppich auf ihm. Es wäre auch zu schade, wenn ein kostbarer Teppich durch den Straßendreck, den man mit den Schuhen ins Haus trug, versaut werden würde. Der Kamin, in einer Ecke des Raumes, war, auch wenn es nicht gerade warm im Raum war, nicht angeheizt.

In der Nähe der Fenster stand ein grober Holztisch, mit einem Stuhl dahinter. Auf dem Tisch stand eine Fleischplatte, Brot, ein großer Krug Bier und ein Becher. An der Wand standen drei weitere Stühle. Über einem der Stühle lag ein kostbarer Pelzmantel. Graf Adolf II. hatte in den letzten Jahren von den Lübeckern Händlern genug über Pelze gelernt, um zu wissen, dass es kostbarer Zobel aus dem Norden war, aus dem der Mantel bestand. Ein ganzer langer Mantel, der fast bis zum Boden reichen musste, aus Zobel. Ein Vermögen lag da auf dem Stuhl. Wahrscheinlich waren die Pelze für den Mantel durch die Lübecker Händler - durch seine Lübecker Händler - ins Reich gekommen. Ein Beauftragter des Herzogs musste den Pelz teuer in Lübeck erstanden haben. Auch wenn der Graf es nicht zeigte, musste er doch innerlich lachen. Durch den Kauf dieser kostbaren Pelze, durch den Herzog, war auch seine Geldbörse dicker geworden.

Mein lieber Graf. Schön, dass du so schnell gekommen bist“, begrüßte Herzog Heinrich, der an einem der Fenster gestanden und gedankenverloren auf die Straße geschaut hatte, seinen Vasall leutselig, ging auf ihn zu und umarmte ihn. Graf Adolf II. stutzte. Wie er gehört hatte, war der Herzog, vor Wut auf ihn, kurz davor, zu platzen, und nun wurde er wie ein lang ersehnter Gast begrüßt und umarmt.

Herzog Heinrich schob sich wieder etwas vom Grafen weg, klopfte ihm mit beiden Händen auf die Oberarme.

Schön, dass du da bist.“

Der Graf musste lächeln. Auch wenn er zuerst über die freundschaftliche Begrüßung gestutzt hatte, war ihm sofort klar, was hier gespielt wurde. Er kannte sich ausreichend in der großen Politik und über die ehrgeizigen Pläne seines Lehnsherrn aus, um zu wissen, was das alles bedeuten sollte. Seit drei Jahren dehnte Heinrich stetig seinen Einfluss in Bayern aus. Er wollte Bayern wieder zu einem Herzogtum der Welfen machen; genau genommen, zu seinem Herzogtum.

Letztes Jahr war es sogar zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Welfen und dem deutschen König Konrad III gekommen, das mit einem Überfall des Königs auf Heinrichs Herrschaftssitz Braunschweig, während dieser auf seinen schwäbischen Besitzungen gesessen hatte, um dort Weihnachten zu feiern, gegipfelt hat. Nur weil der Löwe weit weg gewesen war, hatte Konrad es überhaupt gewagt, in Sachsen einzufallen. Um die Rückkehr von Heinrich nach Sachsen zu verhindern, hatte Konrad sogar eine Postenkette, quer durch Deutschland, auf den wenigen Straßen, die von Süden nach Norden führten, aufgestellt gehabt. Die sollten mit allen Mitteln verhindern, dass der gefürchtete Löwe in seinem Herzogtum wieder auftauchte.

Aber die Vorkehrung schien unnötig gewesen zu sein. Heinrich bereitete in Schwaben eine große Weihnachtsfeier vor. Alle seine örtlichen Vasallen waren dazu eingeladen worden. Der Überfall, von Konrad auf Sachsen, schien Erfolg zu haben. Herzog Heinrich war völlig ahnungslos. So dachte zumindest damals der König.

Aber Heinrich hatte Bescheid gewusst. Während seine Vasallen auf seine Burg in Schwaben zur Weihnachtsfeier strömten, ritt er, verkleidet, nur von drei treuen Freunden begleitet, nach Norden, umging die Posten des Königs, und erreichte innerhalb von nur fünf Tagen Braunschweig. Ein Wahnsinnsritt. Der König, völlig überrumpelt, hatte, wie ein geprügelter Hund, den Schwanz eingezogen; und das, ohne einen einzigen Kampf zu versuchen.

Gegen Herzog Heinrich selbst wagte Konrad III. nicht zu kämpfen und zog sich mit seinem Heer zurück. Der Überfall des Königs war, zur Genugtuung des Löwen, nur durch seine plötzliche Anwesenheit, zu einem Misserfolg geworden. Wieder einmal hatte es sich gezeigt, dass es gefährlich war, diesen, gerade einmal Zweiundzwanzigjährigen zu unterschätzen. Aber trotzdem hatte Herzog Heinrich es noch nicht geschafft, den König dazu zu bewegen, ihm das Herzogtum Bayern zu übertragen. Dieses Jahr wollte der König nach Rom ziehen, um die Kaiserkrone aufs Haupt gesetzt zu bekommen.

Heinrich wollte noch vor dieser Reise sich mit dem König treffen, um die Bayernfrage endgültig, zu seinem Gunsten, zu entscheiden. Dafür brauchte der Herzog aber hier in Sachsen Frieden. Heinrich war ein aufbrausender Herrscher. So einer hatte zwar viel Macht, wurde gefürchtet und hatte eine Menge Vasallen, die seinen Befehlen gehorchten, aber leider wenige, wirkliche Freunde, denen er auch trauen konnte, wenn er selbst außerhalb des Herzogtums weilte. Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen.

Graf Adolf II. zählte sich zu den wenigen Freunden des Herzogs. Er kannte zwar die Launen und das rechthaberische Gehabe seines Herren, aber trotzdem mochte er ihn. Warum, das wusste der Graf selbst nicht so genau. Fakt war aber, er mochte ihn und zählte sich zu seinen Freunden. Egal wie launisch Heinrich war, er war ein guter Herzog. Er packte an, sorgte für Frieden und für sein Land. Heinrich wollte Macht, war aber auch bereit, um seine eigene Macht zu vergrößern, Macht zu verteilen und andere herrschen zu lassen. Der Graf wusste, dass auch Albrecht der Bär neidisch auf Lübeck war. Vielleicht hätte der Markgraf der Nordmark sich die Siedlung schon längst einfach unter den Nagel gerissen und wieder einen seiner Vasallen in dem Gebiet eingesetzt, vielleicht sogar wieder diesen verruchten Heinrich von Badwide, wenn Herzog Heinrich nicht wäre.

Herzog Heinrich versuchte wenigstens eine friedliche Einigung zu erwirken, um sich die Gunst seines Vasallen nicht zu verscherzen. Wenn Heinrich im Süden war, konnte er es sich nicht leisten, einen mächtigen Grafen, der auch noch treu zu ihm stand, zu verärgern. Wäre Albrecht der Bär so weitsichtig?

Graf Adolf II. lächelte still vor sich hin. Er war sich ziemlich sicher, dass er mit seinem Herrn, zu vernünftigen Bedingungen, eine Einigung erzielen würde. Er hatte die besseren Trümpfe in der Hand. Egal wie verärgert der Herzog war, weil der Handel von Bardowick und die Lüneburger Salzsalinen danieder lagen.

Komm setz dich. Du hast sicher Hunger.“

Herzog Heinrich legte die linke Hand auf den Rücken des Grafen, schob ihn an den Tisch und drückte ihn auf den Stuhl, der am Tisch stand. Dann holte er sich einen Stuhl von der Wand und setzte sich gegenüber seines Vasallen an den Tisch.

Noch einen Becher“, fuhr der Herzog den Diener an, der bis jetzt stumm und starr neben der Tür gestanden hatte. Dieser eilte sofort durch die Tür nach draußen.

Und einen neuen Krug Bier“, brüllte Heinrich dem Diener, durch die bereits wieder geschlossene Tür, nach.

Adolf II. schnitt sich, unaufgefordert, ein Stück Fleisch ab und aß es, in den Händen haltend, in aller Ruhe. Er wusste, welches Thema dem Herzog auf der Seele lag, aber der Graf wollte nicht damit anfangen. Sollte doch Heinrich das heikle Thema beginnen. Graf Adolf II. hatte Zeit, und er hatte Hunger. Er brach mit einer Hand ein Stück Brot ab und kaute in aller Ruhe, in einer Hand das großes Stück Fleisch, in der anderen Hand das Stück Brot, vor sich hin. Der Herzog, der ihm gegenüber saß, schaute ihm dabei zu, trank ein Schluck Bier aus dem Becher und überlegte, wie er das Gespräch anfangen sollte. Er wusste, dass er es sich nicht leisten konnte, den Grafen zu verärgern. Er brauchte diesen Freund hier in Sachsen, während er zum König reiste und außer Landes sein würde.

Die Tür ging auf und der Diener kam eilig ins Zimmer und stellte einen neuen Krug und einen weiteren Becher auf den Tisch. Er wollte dem Grafen einschenken, aber der Herzog machte eine Geste mit der Hand, die den Diener dazu brachte Krug und Becher schnell auf den Tisch zu stellen und sich wieder neben die Tür zu begeben.

Raus“, kam es laut vom Herzog. Der Diener schnellte aus dem Zimmer und schloss hinter sich die Tür.

Graf Adolf II. musste wieder still in sich hinein lachen. Dass Herzog Heinrich den Diener nicht als Zeuge des Gesprächs dabei haben wollte, war ein weiteres gutes Zeichen. Der Herzog scheute sich nicht, vor versammelter Mannschaft einen Untergebenen zusammenzustauchen oder ihm sogar zu drohen. Aber der Herzog mied es, wie der Teufel das Weihwasser, Zeugen bei einem Gespräch dabei zu haben, bei dem er bitten musste, wo er doch lieber befahl. Seine Untergebenen sollten ihn fürchten. Da würde es sich nicht gut machen, wenn es bekannt werden würde, der Herzog hat bei einem seiner Grafen um etwas gebeten.

Du weißt, dass der älteste Sohn von Konrad gestorben ist. Nun will er Ende Februar seinen jüngsten Sohn zum Mitkönig wählen lassen. Ich muss also nach Frankfurt. In dem Zusammenhang will ich die Bayernfrage endlich klären. Konrad will mir Bayern nicht geben. Ich kann es nicht dabei belassen. Ich werde also eine längere Zeit außer Landes sein.“

Adolf II. nickte stumm, weiter kauend.

Heinrich nahm den Krug und goss seinem Vasall den Becher voll.

Du bist nicht nur mein Vasall, sondern auch mein Freund.“

Adolf II. nickte wieder. Er steckte sich den Rest von dem Stück Brot, das er in seiner rechten Hand hielt, in den Mund. Nun hatte er eine Hand für den Becher frei, und nahm einen kräftigen Schluck Bier.

Ist dir was aufgefallen, als du durch die Stadt geritten bist?“

Der Graf verneinte mit einem Kopfschütteln, wusste aber, dass sein Lehnsherr jetzt zu dem Thema kommen würde, weswegen er ihn nach Bardowick befohlen hatte. Das Vorgeplänkel war vorbei.

Hör auf jetzt, und tu nicht so unschuldig. Du weißt, warum ich dich her zitiert habe.“

Graf Adolf II. steckt sich das letzte Stück Fleisch aus seiner Hand in den Mund, kaute es durch und schluckte es mit einem tiefen Zug aus dem Bierbecher runter.

Ihr habt mir vor zehn Jahren den Auftrag gegeben, den Norden zu kolonisieren. Ihr wolltet selbst, dass ich die 1138 zerstörte Siedlung Liubice wieder aufbaue. Das habe ich getan. Zwar an einer anderen, besser zu verteidigenden Stelle, aber das dürfte ja wohl egal gewesen sein. Der Platz ist gut. Er liegt ideal. Ideal für eine Verteidigung und ideal für den Handel.“

Er liegt zu ideal“, knurrte jetzt der Herzog.

Graf Adolf II. schaute ihn erstaunt an.

Ein Handelsplatz kann doch nicht zu ideal liegen. Man kann von dort wunderbar Salz, Bier und Eisenwaren in den Norden verschiffen, und dafür Fische und Pelze ins Reich bringen.“

Dabei warf der Graf einen eindeutigen Blick auf den Stuhl, auf dem der kostbare Pelzmantel lag, um aufzuzeigen, dass auch der Herzog davon profitierte. Herzog Heinrich bemerkte den Blick, ignorierte ihn aber.

Ja, aber die Lübecker führen die Ware an Bardowick vorbei. Und die Lübecker holen sich das Salz aus deiner Salzsaline. Die Kolonisierung sollte mir mehr Macht und mehr Geld einbringen. Nicht Verluste.“

Ist es nicht einfach so, dass Bardowick zu abseits liegt. Nahe an der Lüneburger Saline und mit einem direkten Zugang zur Elbe war seine Lage bis jetzt ideal, aber durch die Kolonisierung ist auch eine neue Salzsaline in unseren Machtbereich gekommen. Eine Saline, die günstiger liegt. Mit Lübeck durch einen Fluss verbunden. Und sicher gibt es zwischen Oldesloe und der Hammaburg keinen richtigen Handelsweg, aber den kann man ausbauen. Es ist einfach kürzer, von Oldesloe über Land zur Hammaburg, als von Lübeck die ganze Zeit über Land nach Bardowick. Auch von der Hammaburg nach Bremen geht es über die Elbe, der Westsee und der Weser viel einfacher. Und von Bremen aus kann man die Ware, über die Weser, gut ins Landesinnere bringen. Oder weiter über die Westsee zum Rhein. Von dort kann man dann bis tief in den Süden die Ware auf dem Wasser transportieren. Daher können die Lübecker viel Ware in Bremen absetzen. Was sollte Bardowick denn mit dem ganzen Zeug machen? Etwa mühsam über Land in den Süden bringen?“

Bardowick liegt nicht abseits. Man kann von hier die Ware auch Elbe abwärts verschiffen – und auch Elbe aufwärts.“

Elbe aufwärts, ins Slawenland; das ist doch nicht euer ernst.“

Sobald ich erst einmal Bayern habe, werden wir die Slawen endgültig unterwerfen, dann erschließt sich ein ganz neuer Absatzmarkt.“

Graf Adolf II. nickte verstehend.

Das ist doch gut. Dann kann Bardowick mit dem Osthandel reich werden.“

Mach dich nicht lustig über mich“, brauste jetzt der Herzog auf. „Auch wenn Bardowick in Zukunft mit dem Osten Handel treiben kann, verliere ich doch viel an Lübeck, wenn die über die Hammaburg und Bremen Handel treiben. Und das Problem, dass Oldesloe Lüneburg schadet, bleibt auch bestehen. Große Mengen Salz werden im Norden zum Einlegen der Heringe benötigt. Nicht im Osten.“

Was wollt ihr?“ Der Graf hatte seinen Becher mit mehr Schwung auf den Tisch geknallt, als er wollte und es auch angemessen gewesen war. „Es gibt nun einmal Salz in Oldesloe; und es ist mit Lübeck durch die Trave direkt verbunden. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass man über den Fluss, mit viel weniger Aufwand, viel mehr Salz transportieren kann. Das passiert nun mal, wenn man neue Länder erschließt.“

Da magst du ja recht haben, aber es kann nicht angehen, dass ich deshalb Verluste erleide. Dafür habe ich dich nicht mit der Kolonisierung beauftragt.“

Was verliert ihr?!“ Graf Adolf II. schaute seinen Lehnsherren direkt an. „Ihr verliert Einkünfte, die ihr ohne die Lübecker gar nicht hättet.“

Als das alte Liubice noch stand, hat Lüneburg auch dorthin Salz geliefert.“

Und liefert auch heute noch nach Lübeck. Auch wenn heutzutage das meiste Salz für Lübeck aus Oldesloe kommt, wird trotzdem mehr Salz aus Lüneburg nach Lübeck geliefert als damals nach Liubice.“

Aber es könnte viel mehr sein. Ich habe dir Nordelbien als Lehen geben. Es ist auch ein Teil von meinem Herzogtum.“

Das verstehe ich. Aber es hat sich nun einmal so entwickelt. Und der Handel lässt auch andere Leute sich dort wieder niederlassen. Bauern zum Beispiel. Wir bekommen das Gebiet dadurch bevölkert. Die, durch Kruto und Heinrich von Badwide verödeten Gebiete füllen sich wieder. Auch das sichert das Land gegen die Slawen. Und“, der Graf blickte seinen Lehnsherrn wieder direkt ins Gesicht, „wie ihr schon sagtet, es ist auch euer Land, nicht nur ich profitiere davon. Auch ihr bekommt aus Lübeck, Siegesberg und Oldesloe Steuern, und von den Bauern, die sich im Land, auch wegen der Handelsmöglichkeiten mit Lübeck, Oldesloe und Siegesberg, angesiedelt haben.“

Aber du, als gräflicher Herr der Stätten, kassierst wesentlich mehr.“

Graf Adolf II. zucke mit den Schultern. „Ich habe auch die direkten Kosten. Es sind meine Männer, die die Stätten beschützen. Bezahlt von den Steuern, die ich bekomme. Ich habe mich vor drei Jahren mit den Dänen geschlagen, als die in meine Grafschaft, und damit in euer Herzogtum eingefallen sind. Ich, nicht ihr. Wollt ihr das rückgängig machen?“

Selbstverständlich nicht, aber ich will daran direkt beteiligt sein.“

Wie?“

Ich möchte, dass du mir die Hälfte von Lübeck abtrittst.“

Nein, das ist meine Siedlung. Ich habe den Platz ausgesucht, ich habe die Kaufleute und Handwerker vom Rhein hierher bringen lassen.“

Aber in meinem Auftrag. Es ist mein Land. Du bist nur Vasall. Wenn Lübeck mir schadet, will ich als Ausgleich einen Teil der dortigen Einnahmen.“

Graf Adolf II. schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin es, der das Land aufbaut, ich finanziere es, nicht ihr. Lübeck, die Hammaburg, Siegesberg und Oldesloe bringen mir weniger ein, als ich in die ganze Grafschaft stecke. Wollt ihr an deren Einnahmen mehr beteiligt werden, dann beteiligt euch auch bei den Kosten für den Rest der Grafschaft. Die kosten nämlich immer noch mehr als sie einbringen. Und noch einmal“, der Graf schaute wieder mit einem eindeutigen Blick auf den kostbaren Mantel. „Lübeck schadet euch nicht.“

Heinrich der Löwe wusste, dass sein Graf recht hatte, aber darum drehte es sich nicht.

Ich muss zum König. Denke inzwischen darüber nach. Ich werde es nicht dulden, dass ich durch deine Tätigkeiten Geld verliere. Deine Aufgabe soll das Gegenteil bewirken.“

Graf Adolf II. lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute seinen Lehnsherren an.

Lübeck ist mein Erfolg, und ihr kassiert von meinem Erfolg Steuern.“

Ja, du hast recht, und ich bin schon sehr zufrieden damit. Aber ich kann nicht dulden, dass dein Fleiß mein Verlust bedeutet.“

Der Herzog sah, wie der Graf wieder, diesmal schweigend, einen eindeutigen Blick auf den Pelzmantel warf. Den Schaden, den der Herzog durch Lübeck erhielt, konnte man hier eindeutig sehen. Herzog Heinrich ärgerte sich über sich selbst. Der Pelz war nicht nur angenehm zu tragen, sondern er war auch ein Prestigeobjekt. Aber hier war es ein Fehler gewesen, ihn offen zu zeigen und damit anzugeben. Er erhob sich von dem Tisch. Dem Grafen war klar, dass sein Lehnsherr nicht weiter darüber reden wollte. Die Audienz war beendet.

Denk darüber nach. Wenn ich vom König wieder zurückgekommen bin, möchte ich eine Lösung, die mir wieder die Einnahmen zukommen lassen, wie ich es gewohnt bin.“

Graf Adolf II. nickte und stand auf.

Wir werden sehen.“

Er grüßte und ging zur Tür, um den Raum zu verlassen. Auf dem Weg zur Tür drehte er sich aber noch einmal um und zeigte auf den Pelzmantel. Er wusste, dass es ein Fehler war, aber er war so wütend, dass er sich nicht zurückhalten konnte.

Ihr solltet den Pelz nicht auf eure Reise zum König mitnehmen. Konrad könnte ansonsten erschüttert über eure Armut sein, und vielleicht nicht wollen, dass ein weiteres Herzogtum euch noch mehr Schaden zufügen wird.“

Das war nicht angemessen gewesen, aber trotzdem schaute der Graf ohne Furcht dem Herzog ins Gesicht. Dieser biss schweigend die Zähne zusammen. Graf Adolf II. dreht sich wieder um, um weiter zur Tür zu gehen.

Ich kann mich doch auf dich verlassen, während ich außerhalb meines Herzogtums bin“, hörte der Graf von hinten, während er zur Tür ging. An der Tür drehte er sich um.

Selbstverständlich, oder zweifelt ihr etwa an meiner Loyalität.“

Herzog Heinrich schüttelte lächelnd mit dem Kopf.

Nein, nicht an deiner. Du hast schon oft bewiesen, dass ich mich auf dich verlassen kann.“

Graf Adolf II. hob noch einmal die rechte Hand zum Gruß und verließ den Raum. In Gedanken versunken ging er die Treppe hinunter, nahm unten sein Schwert, Dolch und den feuchten Wollumhang, nickte kurz der Wache zu und verließ die Vogtei. Draußen stieg er auf sein Pferd, schaute noch einmal hoch zum Zimmer, in dem er eben noch mit seinem Lehnsherren zusammen gesessen hatte. Er sah einen Schatten hinter dem Fenster stehen. Er hob die Hand noch einmal zum Gruß gegen das Fenster, wendete dann sein Pferd und ritt Richtung Stadttor, wo seine Soldaten auf ihn warteten, damit sie wieder zurück reiten konnten.

Der Graf überlegte. Er sollte erst einmal nach Lübeck reiten. Vielleicht konnte man ja einen Kompromiss finden. Mal sehen, ob die Lübecker Kaufleute eine Idee hatten. Die Händler mochten zwar nichts von Politik verstehen, aber sie hatten schon so manches Mal bewiesen, dass sie einfallsreiche Leute waren. Ein vernünftiger Kompromiss der Einkaufs- und Verkaufspolitik der Lübecker, sodass Bardowick und Lüneburg mit in die Handelsgeschäfte der Kaufleute einbezogen werden würden. Selbst wenn seine Einkünfte, da dann einiges an Oldesloe und der Hammaburg vorbei gehen würde, sich dann verringerten. Wenn die Einkünfte der beiden herzoglichen Siedlungen wieder stiegen, verringerte sich vielleicht der Hunger des Löwen auf Lübeck.

Jetzt im Winter ruhte der Handel, also würden die Lübecker Händler zu Hause sein. Bei der Wache, am Stadttor von Bardowick, wartete seine Begleitung. Graf Adolf II. winkte seinen Hauptmann heran.

Wir reiten nach Lübeck.“

 

- 14 - Schwierige Zeiten

 

 

In dem großen Saal, im ersten Stockwerk des Haupthauses der Lübecker Burg, saßen Boruslaw und vier weitere Lübecker Händler, der Burghauptmann und Graf Adolf II. am großen Tisch. In, an den Wänden befestigten Halterungen aus Eisen steckten brennende Kieferspäne, die, mit den Flammen der offenen Feuerstelle, den Raum nur notdürftig erhellten. Die kleinen Fensteröffnungen waren, wegen der kalten Winterwitterung, mit Wolldecken verhangen.