Gewalt im Jobcenter

Bevor ich hier über Gewalt im Jobcenter schreibe, möchte ich, um keinen falschen Eindruck zu erwecken, darauf hinweisen, dass ich gegen jegliche Gewalt bin. Ich verurteile selbstverständlich die Gewalt im Jobcenter, die von Arbeitslosen, man nennt Sie ja auch „Kunden“, gegen Jobcentermitarbeiter ausgeübt wurden und werden. Ich möchte hier nichts beschönigen und rechtfertigen, aber Gewalt ist oft eine zweiseitige Sache, und wenn körperlicher Gewalt ausgeübt wurde, sollte man sich auch darüber klar sein, dass dieser körperlichen Gewalt durchaus auch andere Gewalt vorausgegangen ist. Und nur weil man die Auswirkungen dieser psychischen Gewalt weder am Körper noch an der Seele des Betroffenen sehen kann, zumindest wenn man kein Psychiater ist, wird sie oft als nicht existent beiseitegeschoben. Aber das ist falsch.

 

Ich selbst, ich habe darüber in meinem Buch „Du weißt doch, Frauen taugen nichts“ geschrieben, musste am eigenen Leib, an meiner eigenen Seele erleben, wie man mir Gewalt angetan hat, ohne mich zu schlagen, ohne mit einem Messer auf mich einzustechen, oder ohne sonst wie körperliche Gewalt anzuwenden.

 

Gewalt fängt nicht erst, wie man allgemein annimmt, bei körperlicher Gewalt an. Jeder Psychologiestudent im ersten Semester bekommt das gelehrt. Wer wirklich glaubt, dass Gewalt nur körperlich ausgetragen wird, der ist dumm. Dumm und borniert. Wenn man Leute demütigt, ihnen die Lebensgrundlage entzieht, ja dieses sogar ohne das der Betroffene sich was zuschulden hat kommen lassen, ist dieses Gewalt. Wer Leute dazu bringt, dass sie Lebensangst haben, sie in eine Situation bringt, in der sie nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen können, nicht Strom, nicht die Heizung, und sie glauben im nächsten Monat ohne Geld vor einem Supermarkt stehen zu müssen, der übt Gewalt aus. Echte, brutale, primitive Gewalt. Und diese Gewalt wird nicht dadurch harmloser, weil sie von einer Behörde ausgeübt wird, die behauptet, eine Behörde eines Rechtsstaates zu sein.

 

Und wenn jemand behauptet ein Rechtsstaat zu sein, sollte man eines nicht vergessen. In der ganzen rund 1000 jährigen deutschen Geschichte, von der man allgemein meint, dass sie mit Otto I angefangen hat, hat es nie einen deutschen Staat gegeben, der zumindest offiziell etwas anderes von sich behauptet hat, als dass er ein Rechtsstaat sei. Jeder Staat, den es bis jetzt auf deutschem Boden gegeben hat, hat von sich behauptet, er sei ein Rechtsstaat. Wenn der heutige Staat, den es auf deutschem Boden gibt, es somit auch behauptet, ist das nicht unbedingt war Neues.

 

Und diese ausgeübte Gewalt baut in dem Gehirn, in der Seele des Betroffenen Druck auf. Druck, der nicht unbedingt mehr zu steuern ist. Es mag falsch sein, wenn so ein Betroffener dann zur körperlichen Gewalt greift. Aber es stellt sich doch die Frage, ob diejenigen, die dann davon betroffen sind, noch das Recht haben so etwas zu verurteilen. Immerhin waren sie es, die durch ihre (psychische) Gewalt erst diese körperliche Gewalt ausgelöst hat. Und wer verzweifelt ist, sieht seinen Feind nicht mehr in einer ganz gewissen Person beim Jobcenter, sondern im ganzen System – jeder der dort arbeitet ist für ihn ein Feind, eine potenzielle Gefahr.

 

Wer jetzt sich erschrocken zurückfährt, sollte einen Psychiater fragen, der dürfte das wohl nicht bestreiten.

 

Und wem, wie bei Herrn E. im Juni 2012 geschehen, ohne dass dieser sich was zuschulden hat kommen lassen, damit gedroht wird, ihm vorläufig die komplette Zahlung der Sicherung der Lebensgrundlage einzustellen, nimmt ihm schlagartig die Möglichkeit der Existenz. Sicher, ein Vermieter kann auch einen Mieter nicht gleich rausschmeißen, wenn dieser ein oder zwei Monate keine Miete zahlt, auch der Strom wird nicht sofort abgestellt. Aber Herr E. würde einen guten Ruf verlieren, bei seinem Vermieter und bei dem Strom- und Gasversorger. Sicher gibt es auch dort Dossiers, in denen so etwas vermerkt wird. Vielleicht sogar mit einer Eintragung bei der Schufa. Und das, ohne dass Herr E. sich was zuschulden hat kommen lassen.

 

Und neben diesen Unannehmlichkeiten kommt das Problem des leeren Geldbeutels beim Supermarkt. Was nützt es ihm, wenn der Mitarbeiter vom Jobcenter bei der Drohung der Zahlungseinstellung darauf hinweist, dass er, bei positiver Klärung der Fragen, die einbehaltene Zahlung binnen zwei Monaten nachzahlt. Herr E. kann nicht bis zu zwei Monaten mal eben das Essen einstellen und die verpassten Mahlzeiten mal eben nach zwei Monaten, alle auf die Schnelle, nachholen.

 

Ich schreibe hier von einem Grundrecht. Davon, dass man Herrn E. damit drohte, diese Zahlung vorläufig einzustellen. Und das nur, weil man eventuelle Rückforderungen, sollte es zu solchen ansonsten eventuell kommen, vermeiden wollte. Man wollte vermeiden, sollte es (wirklich nur eventuell) zu einer Überzahlung kommen, eine Rückforderung stellen zu müssen. Deshalb drohte man mit der vorläufigen kompletten Einstellung der Zahlung. Man drohte mit der vorläufigen Aufhebung eines Grundrechtes.

 

Wie man hier auf der Unterseite „Vorläufige Einstellung der ALG II Leistung“, lesen kann, ist es letztendlich nicht zu der Einstellung gekommen. (Der Teil folgt noch) In einem heftigen Telefongespräch, das runde vierzig Minuten dauerte, war der Mitarbeiter in keine Art und Weise einsichtig: Als Herr E. mit Anwalt drohte, nahm der Mitarbeiter das nur ganz cool hin. Eine Anzeige gegen den Mitarbeiter, sinnlos, soll er doch versuchen. Der Mitarbeiter war sich sicher, dass Herr E. da nichts machen konnte (was stimmt, da dem ALG II Empfänger jede Möglichkeit genommen wurde, einen Jobcentermitarbeiter wegen eindeutiger Verfehlungen im Amt anzuzeigen). Dass der Mitarbeiter im Jobcenter letztendlich eine Lösung vorschlug, damit Herr E. der Zahlungseinstellung entgeht, kam erst zustande, nachdem Herr E. damit gedroht hatte, das Schreiben, in dem stand, dass gegenüber ihm die ALG II Leistung vorübergehend eingestellt wurde, obwohl Herr E. ein weiteres Schreiben vom Jobcenter hatte, in dem klar zu ersehen war, dass Herr E. sich nichts zuschulden hat kommen lassen, bei den Lübecker Nachrichten vorzulegen. Erst bei der Vorstellung vielleicht in der nächsten oder übernächsten Ausgabe der Tagespresse in der Zeitung zu stehen, veranlasste den Mitarbeiter, nach einem fast vierzigminütigen Telefongespräch, das Herr E. auf der Straße mit seinem Handy führte, einzulenken, und schlug eine Lösung vor.

 

Ich habe so manche andere Fälle von Arbeitslosen gehört, die hanebüchen sind, in denen man Gelder zumindest teilweise einfror, ohne dass der Arbeitslose sich wirklich wohl was hat zuschulden kommen lassen. Ich kann zum großen Teil die Rechtmäßigkeit bzw. die Unrechtmäßigkeit von solchen Handlungen nicht überprüfen. Aber zumindest bei Herrn E. weiß ich, dass man ihm die Einstellung der ALG II Zahlung angedroht hat, ohne das er sich etwas zuschulden hat kommen lassen, und das dem Mitarbeiter des Jobcenters, sollte das publik werden, auch wenn juristisch ihm das nicht hätte persönlich gefährlich werden können, er aber doch als der Verursacher nicht in der Presse stehen wollte.

 

Zumindest dürfte eindeutig sein, dass die Jobcenter mit der Existenzgrundlage von Menschen, die von ALG II abhängig sind, durchaus sehr leichtfertig umgehen. Und – es ist nicht zu beweisen, weil sich niemand entsprechend äußert – man muss wohl davon ausgehen, dass so ein Verhalten von oben angeordnet wird.

 

Wir reden hier nicht einfach nur von einem Grundrecht gemäß Grundgesetz, also von juristischen Rechten. Wir reden hier von der Existenz der jeweils betroffenen. Entzieht man ihnen diese Existenzgrundlage, entstehen Panik und Existenzängste. Das Gehirn bekommt eine Höllenangst, die Nerven fühlen sich an, als ob der Betroffene mit dem nackten Hintern auf einen Ameisenhaufen sitzt. Der Geist dieses Menschen wird einer psychischen Belastung ausgesetzt, die durchaus eine Eigendynamik entwickelt, die der jeweilige Mensch nicht mehr steuern kann.

 

Wer bereit ist solche psychische Gewalt auszuüben, oder als Vorgesetzter seinen Untergebenen anweist, darf sich nicht wundern, wenn derjenige, der dieser Gewalt ausgesetzt wird, mit körperlicher Gewalt reagiert. Eine andere wirksame Möglichkeit sich zu wehren hat er nämlich nicht.

 

Widerspruch einlegen und beim Sozialgericht klagen? Das dauert zwei Jahre. Zwei Jahre ist eine lange Zeit, wenn man jemanden die Lebenssicherung ganz oder teilweise verweigert.

 

Klagen beim Verwaltungsgericht, gegen das Jobcenter oder direkt gegen den dortigen Mitarbeiter? Solch eine Klage ist ihm verwehrt. Alle Behördenvorgänge, die im sozialen Bereich angesiedelt sind, sind von einer Klagemöglichkeit beim Verwaltungsgericht, per Gesetz ausgeschlossen.

 

Anzeige wegen Rechtsbeugung? Um Rechtsbeugung auszuüben, muss ein Beamter einen Amtsstatus haben (gemäß Urteil des BGH vom 29.07.1986 1 StR 330/86 in BGHSt 34,146ff), also ungefähr den Status eines Richters. Ein popeliger kleiner Sachbearbeiter beim Jobcenter ist zu unbedeutend, um eine Rechtsbeugung leisten zu können. Er kann zwar dem ALG II Empfänger, seinem „Kunden“ die Existenzgrundlage wegnehmen, damit richtig in Existenzängste stürzen, in völlige Verzweiflung, aber trotzdem ist er so unbedeutend, dass auch diese Taten keine Rechtsbeugung sind.

 

Alleine, dass ein Arbeitsloser bei der Agentur für Arbeit und beim Jobcenter offiziell als Kunde bezeichnet wird, kann man dabei nur als blanken Hohn bezeichnen.