Jobcenter Lübeck fördert Selbstständigkeit

Hier kommt nun die Fortsetzung der kleinen Geschichte:

"Vorläufige Einstellung der ALG II Leistungen"


Am 19. Juni 2012, pünktlich um 07:30 Uhr stand Herr E. vor dem Jobcenter Lübeck, in der Hauptzentrale, um sich, wie verabredet, mit dem Sachbearbeiter Herr M. zu treffen. Leider machte das Jobcenter erst fünf Minuten später auf, sodass Herr E., er musste auch erst einmal das richtige Zimmer finden, runde zehn Minuten zu spät bei Herrn M. auftauchte.

 

Bei der Begrüßung, die nicht gerade sehr freundlich stattfand, wies Herr E. darauf hin, dass die Verwaltung des Jobcenters für seine Verspätung die Schuld trage, nicht er. Als das geklärt war, sprach Herr E. Herrn M. noch einmal auf die Drohung des Jobcenters an, die ALG II Leistung vorläufig komplett einstellen zu wollen. Immerhin hatte Herr E. sich nichts zuschulden kommen lassen, und er hätte immerhin ein Recht auf Grundsicherung. Das wäre Herr M. egal, kam als Antwort. Er hätte das Recht, ja angeblich sogar die Pflicht, um eine eventuelle Überzahlung zu verhindern – wohlgemerkt nicht um eine Überzahlung zu verhindern, sondern nur um eine eventuelle Überzahlung zu verhindern – die Zahlung vorläufig komplett einzustellen. Als Herr E. dann meinte, es könne ja wohl nicht rechtens sein, dass die Zahlung, selbst wenn nur vorläufig, komplett eingestellt wird, und somit ein ALG II Empfänger weder Miete, Strom, Gas, und Lebensmittel einkaufen kann, selbst wenn er sich nichts zuschulden hat kommen lassen, man ja wohl das Jobcenter verklagen könne, meinte Herr M. nur, dass der Betroffene das ja ruhig versuchen kann.

 

Na ja. Herr M. wusste sicher, dass eine Klage bei dem Sozialgericht gute zwei Jahre dauern würde, die vorläufige Zahlungseinstellung bis dahin ja wohl schon beendet wäre, das Geld nachträglich ausgezahlt und somit der Fall für das Sozialgericht erledigt wäre, bevor das Verfahren überhaupt beginnen würde. Dem Sozialgericht war es nun einmal schlichtweg egal, wenn die Zahlung nachträglich bereits erfolgt war, dass der ALG II Empfänger vielleicht ein oder zwei Monate Probleme gehabt hatte, Miete, Strom und Gas zu bezahlen und auch an Lebensmittel zu kommen. Und eine Klage beim Verwaltungsgericht war für Sozialfälle nun einmal ausgeschlossen. Ein ALG II Empfänger war nun einmal der Willkür eines Jobcentersachbearbeiters relativ hilflos ausgeliefert, ohne sich, wie ein normaler Bürger, gegen diese Willkür wehren zu können.

 

Was mach meiner Meinung, wenn überhaupt nur statthaft wäre, wenn das Sozialgericht dann aber auch binnen (sehr) weniger Wochen so einen Fall entscheiden würde, und nicht erst nach zwei Jahren – oder länger.

 

„Aber Sie sind ja jetzt hier, damit das verhindert wird“, kam relativ ungnädig die Antwort von Herrn M., womit er zwar recht hatte, aber das Grundproblem dabei doch nicht beantwortete.

 

Herr E. holte das Formular heraus und füllte dann die noch offenen Punkte aus, nach dem Herr M. auf die entsprechenden Fragen geantwortet hatte.

 

Als das erledigt war, fragte Herr E., was denn das überhaupt hier alles soll. Er war bis jetzt bei seinem Stadtteil-Jobcenter registriert worden und diese hätten ihm auch gesagt, dass sich für Herrn E. nichts ändern würde, wie es von Herrn E. ja auch beabsichtigt war, da er durchaus auch, wie bisher, auch wenn es nur selten geschah, Jobangebote von dem Jobcenter haben wollte.. Immerhin hieß der Laden ja, auch das sollte man nicht vergessen: „Jobcenter“, und Herr E. war, gemäß einer Bestimmung von ganz oben, nicht nur eine Verwaltungsnummer als Arbeitsloser, sondern ein „Kunde“.

 

Herr M. teilte Herrn E. dann mit, dass hier die Abteilung für Selbstständige wäre, also für Leute, die sich versuchen selbstständig zu machen, oder bereits selbstständig sind, aber ALG II trotzdem benötigen. Auf die Frage, was dass denn für ihn jetzt für Auswirkungen hätte, bekam er Herr E. die Antwort, dass man ihn hier direkt für seine Selbstständigkeit fördern könne, was Herr E. sehr positiv fand, da er wusste, dass andere in seiner Situation durchaus Gelder für Anschaffungen erhalten hatte. Herr E. fragte auch gleich nach Möglichkeiten, wie er denn gefördert werden könnte.

 

Darauf schob Herr M. Herrn E. eine neue Eingliederungsvereinbarung hin, in der für die nächsten sechs Monate die Zusammenarbeit beschrieben wurde. Die Zusammenarbeit sah folgendermaßen aus: Herr E. verpflichtete sich seine Selbstständigkeit als Vollzeitjob auszuüben und für diese Arbeitszeit auch einen Nachweis zu erbringen, den er nach vier Wochen, als Beleg beim Jobcenter einreichen musste. Als Gegenleistung bekam Herr E. vom Jobcenter in den nächsten sechs Monaten keine Jobangebote mehr zugeschickt. Somit fiel seine Verpflichtung weg, sich auf Stellenangebote des Jobcenters zu bewerben.

 

„Und was gibt es für Unterstützung“, fragte Herr E. etwas überrascht.

„Ansonsten gibt es keine Unterstützung“, war die kurze Antwort.

 

Herr E. war irritiert. Er wusste, dass es für notwendige Anschaffungen Zuschüsse gab und er einiges, zumindest schon einmal einen neuen Drucker benötigte. Nun erklärte Herr M. Herrn E., dass er keine Zuschüsse bekommen würde. Um Zuschüsse zu bekommen, hätte er sich, bevor er sich selbstständig gemacht hatte, beim Jobcenter melden müssen und einen Antrag auf Zuschüsse stellen müssen. Da Herr E. aber zuerst beim Finanzamt den Antrag auf eine Steuernummer gestellt hatte, und dann dem Jobcenter dieses mitgeteilt hätte, stehe ihm keine Zuschüsse zu. Wirkliche Eigeninitiative schien vom Jobcenter wohl nicht erwünscht zu sein. So etwas belohnte man dann damit, dass es dann überhaupt keine Förderung mehr gab.

 

Man hatte also Herrn E. aus seinem Stadtteil-Jobcenter in die Selbstständigenabteilung des Jobcenters verlegt, damit er gefördert wird, und diese Förderung sah dahingehend aus, dass das Jobcenter sich jetzt um Herrn E. überhaupt nicht mehr kümmerte, er keine Stellenangebote mehr bekam, und auch nicht verpflichtet war sich unter Eigeninitiative irgendwo zu bewerben, sondern dass man ihm mitteilte, er solle sich voll und ganz auf seine Selbstständigkeit konzentrieren. Das war es. Irgendwie konnte Herr E. sich den Eindruck nicht erwecken, dass man hauptsächlich daran interessiert war, ihn aus der Statistik nehmen zu können. Herr E. stand für den Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung, also war er nicht mehr ein Arbeitsloser. Wieder einer weniger. Der Aufschwung ging in Deutschland voran.

 

Im Grunde endete das Gespräch genauso gespannt, wie es angefangen hatte und Herrn E. war in keiner Art und Weise klar, warum er sich unbedingt als Kunde fühlen sollte, und nicht nur einfach als eine Verwaltungsnummer, die man endlich aus der Statistik hatte werfen können.

 

Das Jobcenter Lübeck schien aus dem § 14 des SGB II, zumindest für den Arbeitslosen Herrn E., den Begriff "Fördern" gestrichen zu haben. Zuschüsse für seine Selbstständigkeit gab es nicht, dazu war Herr E. zu spontan gewesen und andere Eingliederungsmöglichkeiten und Eingliederungshilfen wurden Herrn E., mit sofortiger Wirkung, auch verweigert.

 

Von dem viel gepriesenen Fördern und Fordern, war nur das Fordern übrig geblieben.

 

So wie das Jobcenter Lübeck sich verhielt, wären sie geradezu verpflichtet gewesen Herrn E. ein Jobangebot zu machen. Und zwar einen Job als Dozent bei dem Jobcenter, zur Unterrichtung der Sachbearbeiter. 

 

Titel der Schulungsmaßnahmen: "Wie verhalte ich mich gegenüber einem Kunden."

 

Denn wohlgemerkt. Das Jobcenter bestand darauf, den Arbeitslosen als "Kunden" zu bezeichnen.