Das einzige Gespräch danach

 

Nach einer Nacht, in der ich mal wieder nicht richtig geschlafen hatte, schickte ich Carola eine SMS. Ich erinnerte sie noch einmal daran, dass ich nach ihrer ersten Flucht, als sie mich anrief, auch bereit gewesen war, sie anzuhören. Sie sollte wenigstens so viel »Selbstrespekt«, das sollte ein Stich gegen ihre eigene Ausdrucksweise sein, zeigen, und auch mir etwas zubilligen, was ich damals ihr selbstverständlich zugebilligt hatte.

Ich bekam eine SMS zurück: »8:30«.

Wow, kürzer ging es wirklich nicht. Aber immerhin hatte sie mir die Zusage gegeben, dass sie um 8:30 Uhr bereit war, mit mir zu reden. Ich hatte noch etwas Zeit und überlegte mir, wie ich das Gespräch anfangen und durchführen sollte.

 

An die Einzelheiten dieses Telefongespräches kann ich mich, zumindest wortwörtlich, beim besten Willen heutzutage nicht mehr erinnern, dafür war das ganze Gespräch zu konfus gewesen. Im Grunde war es ein Desaster. Statt einer Aussprache waren es wieder nur Ausflüchte. Neben den alten Widersprüchen kamen neue hinzu.

 

Ich wollte nett sein, fragte sie, als ich sie am Telefon hatte, wie es ihr denn gehen würde, was das Knie macht, wie die Praxis anlief. Carola antwortete relativ einsilbig. „Gut, tut nicht mehr weh, fängt an zu laufen.“

Ich wollte weiter erst einmal unverfänglich bleiben.

Und wie war das Wochenende mit Peter, Dieter und den anderen?“

Toll. Ich habe lange nicht mehr so sehr gelacht, wie an dem Wochenende.“

Das saß. Der Schlag ins Gesicht war ein Volltreffer.

Während ich, durch sie, so viel verloren hatte, sie mich dabei auch noch beleidigt und gedemütigt hat, mich bei meiner Schwester verleumdet, mich in den Dreck gezogen, mich danach, als ich für das Alles Rechenschaft verlangte, einfach ignorierte, sie ihren angeblich besten und zuverlässigsten Freund, den sie je gehabt hat, beleidigte, spielte sie bei anderen die Glückliche, und erzählt mir noch voller stolz, dass sie sich dabei wahnsinnig amüsiert hat. Endlich einmal seit Langem, das erste Mal seit langer Zeit, dass sie wieder richtig viel Spaß gehabt hatte. So als ob auf einmal unsere Beziehung, die sie doch angeblich mit dem Besten, was in ihrem Leben passiert war, gehabt hatte, ein Drama und Trauerspiel gewesen war.

 

Und ich bin mir immer noch sicher, damals einen verächtlichen, abweisenden Ton bei Carola herausgehört zu haben. Ihre steinerne Maske war regelrecht durch das Telefon zu spüren.

 

Ich konnte nicht mehr den Gleichgültigen spielen. Ich wurde sauer: „Wann bekomme ich denn mein restliches Geld?“

Eine blöde Frage, weil das Geld mich am wenigsten interessierte. Aber Carola hatte mich, mit ihrer überheblichen, abweisenden Art, aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich brauchte etwas Zeit, musste mich erst einmal wieder sammeln.

Das habe ich schon vor zwei Wochen per Post geschickt.“

Ist bei mir aber nicht angekommen.“

Ich habe es aber weggeschickt, glaubst du mir etwa nicht?“

Langsam wurde es haarig. Wir waren noch nicht bei dem Thema, weswegen ich mit ihr sprechen wollte, und sie wurde schon pampig.

Es ist aber bei mir nicht eingetroffen, glaubst du mir etwa nicht?“ Wobei ich das »du« besonders betonte.

Ich bekam darauf keine Antwort.

Ich hatte mich aber inzwischen wieder einigermaßen gesammelt und wechselte das Thema. Auf die fünfzig Euro wollte ich mich am Anfang des Gespräches nicht festbeißen. Es gab Wichtigeres.

Ich kam auf das zu sprechen, was Michael mir gesagt hatte, dass er, Peter und Thomas bereits während ihrer ersten Flucht die Einzigen waren, für die sie nach Lübeck kommen würde. Peter war der Einzige, den sie heiraten würde. Wenn nur die, wieso dann das alles mit mir? Und wieso war sie nach dieser Erkenntnis trotzdem zu mir noch einmal zurückgekommen?

Das hat Michael falsch verstanden. Das musst du doch wohl wissen, dass Peter für mich nie etwas Besonderes war. Wie blöd bist du eigentlich, dass du so etwas glaubst?“

Treffer. Das war die nächste Schelle. Pampiger ging es kaum noch.

Ich konnte durch das Telefon regelrecht die versteinerte Maske ihres Gesichtes fühlen. Der verachtende Ton ihrer Stimme und ihre Ausdrucksweise, (»wie blöd bist du eigentlich«) sprachen Bände. Und woher sollte ich wissen, dass Peter nie für sie etwas Besonderes gewesen war, bzw. selbst wenn er nichts Besonderes gewesen war, sie dieses nicht gegenüber Michael trotzdem behauptet hat. Carola hatte nicht nur mir gegenüber ausgiebig gezeigt, dass sie durchaus eine sehr vielseitige Sicht von Wahrheiten hat. Und zwar so vielseitig, dass sich ihre Wahrheiten oft regelrecht in Widersprüche auflösten, und unvereinbar waren. Wer sollte da noch erkennen, was wahr ist, und was nicht? Und wenn ich mir so die Reaktionen von Petra, Michael und Horst in den letzten Tagen und Wochen in Erinnerung rief, war ich nicht der Einzige, der mit den verschiedenen Wahrheiten von Carola so seine Probleme hatte.

Und das andere, was Michael gesagt hat?“

Was anderes?“

Na ja, dass es nur drei Leute gibt, für die es sich lohnt nach Lübeck zu fahren.“

Was soll damit sein? Ich wusste schon nach den ersten fünf Tagen, dass es mit unserer Beziehung falsch ist. Ich liebe seit vielen Jahren einen anderen.“

 

Zur Erinnerung. Es war am Abend des fünften Tages unserer Beziehung gewesen, als Carola zu einer Bekannten, die wir beide auf dem Weg zu der Hinterhofparty von Carmen und Hans getroffen hatten, mit strahlendem Gesicht gesagt hat, dass es etwas Ernstes mit uns ist.

 

Wieder ein Treffer. Das war keine Aussprache, sondern ein Boxkampf. Allerdings ein Boxkampf ohne Regen.

Und warum hast du dich dann mit mir eingelassen?“

Das war falsch. Mein Herz war nie frei.“

Und warum sollte ich nicht nach Schweden auswandern, wenn du schon nach fünf Tagen wusstest, dass es mit uns falsch war?“

Das spielt doch jetzt gar keine Rolle mehr. Ich habe dich nie geliebt. Akzeptiere das.“

Wow. – Dass ich wegen ihr Schweden verloren hatte, spielte für Carola überhaupt keine Rolle. Die Kälte, die Carola ausstrahlte, spürte ich durchs Telefon regelrecht physisch am Ohr.

Ach, und warum bist du dann nach der ersten Trennung, nur wegen mir, nach Lübeck gefahren, und hast mich unbedingt zurückhaben wollen?“

Das war ein Fehler gewesen.“

Aber warum bist du dann zurückgekommen, wenn dir damals schon klar gewesen war, dass es mit unserer Beziehung falsch ist, und dir daher klar sein musste, dass es ein Fehler war, zurückzukommen? Wieso bist du aus Hannover überhaupt losgefahren?“

Ich sagte doch schon, das war ein Fehler gewesen.“

Ja, das habe ich kapiert. Aber wenn du damals schon wusstest, dass es ein Fehler war, warum bist du aus deiner Wohnung gegangen, die Haustreppe runter zur Straße, hast dich in dein Auto gesetzt, hast den Wagen gestartet und bist zu mir gefahren? Hin und zurück sind das immerhin über 400 km; eine ganze Tankfüllung, die du dir eigentlich gar nicht leisten kannst. Warum hast du den Fehler gemacht, wenn du doch schon vorher wusstest, dass es ein Fehler ist, da du angeblich ja schon fast von Anfang an wusstest, dass es mit uns falsch war?“

Carola gab darauf keine Antwort. Schweigen. Absolutes, totales Schweigen. Carola schwieg diese Frage einfach aus.

Ich musste also weiter machen.

Wieso bist du gekommen? Wieso hast du gesagt, dass du mich liebst, und ich unbedingt an meinem Ziel, nach Hannover zu ziehen, festhalten soll? Warum hast du mir gegenüber behauptet, ich wäre das Beste, was dir je passiert wäre, wenn du wusstest, dass das nicht stimmt?“

Das, was ich während unserer Beziehung gesagt habe, spielt doch gar keine Rolle. Das hat überhaupt keine Bedeutung. Das Einzige, was zählt, ist, dass ich nicht mit dir zusammen sein will.“

Aber warum bist du aus Hannover losgefahren, wenn du wusstest, dass das ein Fehler war, und du wusstest, dass du mir mit deiner Show meine Zukunft in Schweden versaust?“

Ich sagte doch schon, es hat überhaupt keine Bedeutung, was ich während unserer Beziehung gesagt habe.“

 

Wow, sehen so etwa die »Theorie der Gefühle« einer Agnes Heller aus?

 

Ich war baff. Wirklich baff. Ich sprach gegen eine Wand. Das war nicht zu begreifen, was da von ihr als Antworten kamen. Sie hatte noch am letzten gemeinsamen Wochenende in Hannover gedrängelt, dass ich nicht nach Schweden, sondern nach Hannover ziehen soll. Und nun erzählte sie mir, dass das, was sie damals gesagt hat, überhaupt keine Bedeutung hatte. Es war für Carola völlig belanglos, dass sie noch am letzten gemeinsamen Wochenende, bei der Vorstellung, ich könnte doch noch nach Schweden vermittelt werden, in Panik geraten war, und sie total selig gewesen war, nachdem ich ihr hoch und heilig versprochen hatte, dass das auf keinen Fall passieren wird.

Ich war völlig fertig. Es kamen nur patzige Antworten von ihr. Nur Gekeife, Gekratze und Gespucke. Wie konnte die Frau nur? Ich war regelrecht erschlagen. Auch wenn ich kein Bildtelefon benutzte, konnte ich regelrecht die eiskalte Maske sehen, die sie sicher wieder aufgesetzt hatte, und die ich ja schon ausgiebig hatte genießen können.

Und wieso hast du selbst zugegeben, dass sich Susanne gewundert hat, dass du bei mir, nicht wie sonst immer, eben nicht schon in der zweiten oder dritten Nacht aus dem Bett geflohen bist? Ich also anscheinend etwas ganz Besonderes für dich gewesen bin.“

Das stimmt doch gar nicht.“

Willst du behaupten, das hättest du nicht zu mir gesagt?“

Doch das habe ich, aber das war gelogen.“

Gelogen?“

Ja gelogen. Ich sagte doch schon, dass das, was ich während unserer Beziehung gesagt habe, keine Bedeutung hatte. Ich wollte dir nur schmeicheln.“

Das soll ich dir glauben?“

Ob du mir das glaubst, spielt keine Rolle.“

Und deine Umklammerung auf dem Ratzeburger Bahnhof, deine Tränen bei mir auf dem Sofa und auch in deiner Küche, waren auch ohne Bedeutung? Also vorgespielt?“

Stille. Es kam darauf keine Antwort von Carola. Da fehlte ihr wohl wieder die Sprache. Carola schwieg einfach. Ich dagegen konnte nicht schweigen. Ich war inzwischen viel zu geladen, um zu versuchen, vernünftig zu sein. Ich machte mit meinen Anschuldigungen weiter. Auch wenn das nicht gerade vernünftig war, sprudelte es einfach nur so aus mir heraus.

Und was war mit deinem Spruch, als du bei meiner Schwester auftauchtest und mit mir verliebt auf dem Rasen gelegen hast, dass du noch mit mir viele kuschelige und schmusige Fernsehabende, in Hannover, auf dem Sofa verbringen wolltest?“

Das ist doch totaler Quatsch. Woher sollte ich wissen, dass wir das gleiche Fernsehprogramm mögen.“

Willst du behaupten, du hättest das nicht gesagt?“

Ich sagte doch schon, es hatte überhaupt keine Bedeutung, was ich damals gesagt habe.“

Was von Carola als Antworten kam, das war ein einziges großes, pampiges Herumgezicke von der allerschlimmsten Sorte. Ein arrogantes, überhebliches, ja menschenverachtendes Herumgezicke. Egal was ich sagte, es gab von Carla nur pampiges Kontra. Als ob es ihr während der ganzen Zeit unserer Beziehung klar gewesen war, dass alles nur ein kurzzeitiges Spiel für sie ist, all das, was sie mir vorgeschwärmt hatte, gar keine Bedeutung gehabt hat. Also alles nur gelogen war, um mir anscheinend zu schmeicheln, mich bei Laune zu halten, und es ihr völlig egal gewesen war, dass ich wegen ihr meine ganzen Lebensziele geändert hatte.

 

Und dafür war sie sogar noch nach ihrer ersten Flucht bereit gewesen, obwohl sie völlig pleite war und nicht wusste, wie sie finanziell über die Runden kommt, ganz bewusst (nach ihrer eigenen Aussage) einen Fehler zu machen, und das Geld für eine ganze Tankfüllung zu opfern, und war von Hannover nach Lübeck gefahren – und wieder zurück. Und dass sie mir dann erzählt hat, dass sie sich bei der Hinfahrt vor Schiss fast in die Hose gemacht hätte, und mehrmals kurz davor gewesen war, umzukehren, war sicher auch nur bedeutungsloses Geschwätz gewesen.

 

Und ihr Ton klang, als ob sie sich absolut im Recht fühlte, ihr so ein Verhalten zustehen würde, so ein Verhalten doch total normal wäre. Und es für sie unbegreiflich war, dass ich mich darüber aufrege und Probleme damit habe.

Was wollte ich eigentlich von ihr?! Es hatte doch alles gar keine Bedeutung gehabt.

 

Und wieso hatte Sie Michael dafür beschimpft und beleidigt, die Freundschaft zu ihm aufgekündigt, als er ihr genau das vorgeworfen hat. (Eine Frage, die ich leider bei dem Telefongespräch vergessen habe zu fragen.)

 

Dass ich für diese ganzen Bedeutungslosigkeiten Schweden aufgegeben, und für die Zukunft wohl auch verloren hatte, war anscheinend für Carola genauso bedeutungslos, wie angeblich unsere ganze Beziehung es gewesen war. Carola schien das ja noch richtig cool zu finden, dass ich vor einem großen Trümmerhaufen stand. Ist doch völlig bedeutungslos, dass das mit Schweden jetzt in die Hose gegangen ist. Eigentlich sogar doch ganz lustig. Oder etwa nicht? Na ja, Carola hatte sich ja schon bei meiner Schwester darüber beschwert gehabt, dass mir anscheinend der nötige Humor fehlt. Ich hatte ja schon den »vögelnden Waschbrettbauch« nicht komisch gefunden.

Womit na klar auch ihr Verhalten Michael gegenüber, wegen seiner Kritik, Sinn machte.

Aber was war auf dem Ratzeburger Bahnhof gewesen? Carola schien das bewusst auszublenden. Sie gab zumindest auf meine Frage dazu keine Antwort, und weigerte sich in irgendeiner Art und Weise auf ihre Umklammerung, die sie wie eine Ertrinkende ausgeführt hatte, einzugehen. Genauso, wie mit ihren innerlichen Zusammenbrüchen bei mir auf dem Sofa und bei ihr in der Küche.

Carola spielte bewusst die Hochnäsige, überheblich Genervte, verhöhnte mich wegen meiner Leichtgläubigkeit. Sollte das eine Aussprache sein? Eine, wie hieß es doch noch mal, »Selbstverständlichkeit der menschlichen Interaktion«?

Das Herumgezicke ging weiter, aber irgendwann setzte das Gespräch Carola doch sichtlich zu. Die steinerne Maske fing an zu bröckeln.

Ich habe Schluss gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass du bei mir nicht glücklich warst.“

Das hatte nicht mehr ganz so kalt geklungen; auch wenn damit mal wieder ein neuer, bis jetzt ungekannter Grund aufs Tablett kam.

Ich war mit dir doch aber glücklich.“

Carolas kurze Antwort darauf: „Dann habe ich das eben nicht gemerkt. Nun ist es zu spät.“

Das musst du doch gemerkt haben. Dass ich glücklich mit dir war, habe ich dir nun wirklich oft gezeigt. Wie oft hast du daran gezweifelt, dass du die richtige Frau für mich wärst, und wie oft habe ich dich in die Arme genommen und dir gesagt, du bist die Richtige und Einzige.“

Das ist jetzt auch egal. Ich werde nie wieder eine enge Beziehung haben. Wenn es selbst mit dir nicht geklappt hat, klappt es auch mit keinem anderen.“

Das Letzte von ihr klang jetzt aber richtig weinerlich. Ich sah regelrecht, wie die steinerne Maske von Carola verschwunden war. Bei dem Spruch, dass sie nie wieder eine enge Beziehung haben würde, da es ja selbst mit mir nicht geklappt hat, und es somit auszuschließen sei, dass es überhaupt mit jemandem klappen würde, klang es wirklich so, als ob sie am Heulen sei. Aber bevor ich da einhaken und nachsetzen konnte, machte es richtig klick. Es war regelrecht zu spüren, die Schwächeperiode war wieder vorbei. Carola hatte sich, genauso wie damals nach der kurzen Schwächeperiode auf dem Ratzeburger Bahnhof, erneut unter Kontrolle. Die steinerne Maske war wieder aufgesetzt.

Überhaupt, was soll das Gejammer. Benimm dich gefälligst wie ein Erwachsener. Stell dich nicht so an. Du weißt doch, nach sechs Monaten ist der Schmerz vorbei. Das Leben geht auch so weiter. Auch für dich und das auch ohne mich.“

 

Dann war plötzlich das Gespräch beendet. Carola hatte nicht direkt einfach aufgelegt, wir hatten uns sogar richtig gegenseitig verabschiedet, aber das ging alles so plötzlich und kurz vonstatten, dass ich gar nicht richtig wusste, wie mir geschah. Selbst das mit den fünfzig Euro, eigentlich noch die kleinste Differenz zwischen uns, und somit wohl am leichtesten zu klären, war nicht mehr zur Sprache gekommen.

Und was sollte das: »Nun ist es zu spät.« Das klang so wie: »Nun habe ich eben den Bus verpasst, und daher kann ich nicht mehr kommen.«

Und wie passte das alles zusammen, was sie da von sich gegeben hatte? Einerseits schien sie erleichtert zu sein, dass es mit mir vorbei ist, sie mich endlich vertrieben hat. Andererseits hatte sie selbst das Gefühl, dass ich etwas ganz Besonderes bin, etwas, was sie nicht glaubte woanders noch einmal bekommen zu können, geschweige sogar etwas Besseres zu kriegen. Sie also etwas verloren, bzw. selbst weggeschmissen hat, von dem sie selbst glaubt, so etwas nicht wieder zu bekommen. So etwas schmerzt doch, oder zumindest würde es einem normalen Menschen schmerzen. Und dann spielte sie den anderen gegenüber die Glückliche, die bei dem Wochenende mit Freunden so wahnsinnig viel gelacht hat, so lustig und fröhlich gewesen war, wie lange nicht mehr; bzw. behauptete das zumindest mir gegenüber.

Und wieso hatte sie angeblich Schluss gemacht, weil sie dachte, ich wäre nicht glücklich bei ihr, und es nun für eine Korrektur zu spät wäre, – wenn sie doch sowieso von Anfang an gewusst haben will, dass es mit uns falsch gewesen war, ich nicht der Richtige bin?

Und überhaupt: »Wenn es selbst mit dir nicht geklappt hat, klappt es auch mit keinem anderen«, war doch schon ein ziemlich großes Kompliment meiner Person betreffend. Immerhin schien sie selbst nicht zu glauben, noch einmal etwas Gleichwertiges oder gar Besseres zu finden. Wie passte das dann aber zu ihren Beschuldigungen und Beschimpfungen über meine Person, die sie meiner Schwester gegenüber, z. B. dass ich Fehler hätte, die sie nicht tolerieren könnte, von sich gegeben hatte? Das war doch wirklich alles nicht zu verstehen.

Es dauerte einige Zeit, bis ich überhaupt richtig begriff, dass sie mich irgendwie einfach abgewürgt hatte, und was da überhaupt passiert war. Das waren wieder nur Ausflüchte und Lügen gewesen. Sie hatte irgendetwas von sich gegeben, um die Wahrheit, wie diese auch immer aussehen mochte, nicht von sich geben zu müssen. Und sie hatte sich dabei abermals total in Widersprüche verstrickt.

Alles, aber auch wirklich alles passte nicht zusammen. Das Gespräch hätte sie sich auch sparen können. Es war von mir ein Irrtum gewesen, als ich dachte, sie wäre an einer Aussprache interessiert, weil sie sich daran erinnert hätte, was sie selbst vor mehr als sechs Jahren erklärt hat, nämlich, wie sie selbst behandelt werden möchte. Ich hatte gedacht, sie hätte eingesehen, dass auch ich das Recht habe, so behandelt zu werden, und sie somit die Pflicht, ehrlich, aufrichtig und fair mit mir umzugehen.

Aber ich hatte mich geirrt, und musste mir, wie schon fast 6 1/2 Jahre zuvor, wieder einmal vorwerfen lassen, ich würde mich nicht wie ein Erwachsener benehmen.

Sobald ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, setzte ich mich gleich an den Computer, um Carola eine E-Mail zu schreiben. Ich konnte nicht anders. Ich musste meine Wut über diese Widersprüche, die sie wieder von sich gegeben hatte, los werden. Täte ich es nicht, würde ich platzen. Zumindest hatte ich genau das Gefühl. Um das alles normal zu finden, waren diese Widersprüche einfach zu irrwitzig gewesen.

Ich wollte die E-Mail mir in Ruhe mehrmals durchlesen, und disziplinierte mich insoweit selbst, in dem ich mir vornahm, sie erst am nächsten Tag zu verschicken. Ich schrieb, dass das, was sie da von sich gegeben hatte, keine Aussprache gewesen war. Ich wies auf die einzelnen Widersprüche hin, die nun wirklich nicht zusammenpassten. Und fragte nach, ob ich nicht ein Recht darauf hätte, zu erfahren, warum ich denn nach Hannover ziehen sollte, warum sie, nach ihrer ersten Flucht, unverhofft bei meiner Schwester aufgetaucht war, wenn sie doch angeblich von Anfang an wusste, dass ich der Falsche gewesen war. Ihr Hinweis, es wäre ein Fehler gewesen, bei meiner Schwester aufzutauchen, beantwortete nicht die Frage, warum sie für diese Fahrt extra aus Hannover losgefahren, warum sie dort überhaupt in ihren Wagen gestiegen ist, da sie sich ja immerhin zu dem Zeitpunkt schon sicher war, dass es ein Fehler wäre, und ich der Falsche sei. War bei solchen Widersprüchen nicht die Nachfrage erlaubt? Wieso wollte sie, dass ich nicht nach Schweden ziehe, wenn sie doch wusste, dass es mit uns nicht richtig ist? Ich war mir sicher, dass jemand, der bereit war, für einen anderen Menschen seine Lebensziele so extrem zu ändern, das Recht auf Wahrheit hat, und der Spruch, »ich habe dich nie geliebt«, doch wohl dafür nicht ausreichend ist. Selbst wenn der Spruch wirklich der Wahrheit entsprechen sollte.

Ich erinnerte sie mal wieder daran, dass sie schon mehr als sechs Jahre vorher mir klar gemacht hat, wie sie selbst behandelt werden will. Fair, ehrlich und aufrichtig sollte man mit ihr umgehen. Genau das verlangte sie von ihren Freunden. Ich schrieb ihr, dass es wohl selbstverständlich wäre, wenn sie den Anspruch, den sie von anderen einfordert, selbst vorleben würde. Das wäre ja wohl das Mindeste, was man erwarten kann. Zumindest von einer erwachsenen Frau. Das wäre »die Selbstverständlichkeit der menschlichen Interaktion«, die sie doch angeblich selbst so wichtig nimmt.

Als Abschluss erwähnte ich noch, da wir selbst dieses läppische Thema nicht telefonisch hatten klären können, dass ich auch mein Geld wieder haben möchte. Es käme nicht darauf an, wie oft sie es an mich versenden würde, entscheidend ist, ob es bei mir eintrifft. Und das sei nun einmal nicht geschehen. Geldschulden sind »Bringschulden«, und sind erst beglichen, wenn sie beim Gläubiger eingetroffen sind. Als angehende Geschäftsfrau sollte sie das wissen.

Am nächsten Morgen, nachdem ich die E-Mail zum x-mal durchgelesen hatte, schickte ich sie ab.

Nach einem weiteren Tag hatte ich die Antwort.

»Es war ein Fehler, mich auf ein Gespräch mit dir einzulassen. Ich hatte dem sowieso nur zugestimmt, um endlich Ruhe vor dir zu haben. Mein Herz war nie frei, ist nicht frei, und wird nie frei sein. Lass mich endlich in Frieden.«

Die E-Mail schlug nun wirklich dem Fass den Boden aus. Jegliche Kritik von mir, wobei ich ja nicht der Einzige war, der ihr Verhalten kritisierte, perlte an ihr ab, wie Wasser auf einem Wachstuch. Sie hatte dem Gespräch also nur zugestimmt, weil sie endlich ihre Ruhe haben wollte. Was ganz klar aufzeigte, dass sie nie die Absicht gehabt hatte, eine ehrliche und aufrichtige Aussprache zu führen. Sie fühlte sich völlig zu Unrecht angegriffen. Wieso hatte die Frau nicht einmal ansatzweise so viel Anstand, sich anderen gegenüber so zu benehmen, wie sie selbst behandelt werden will?

Warum dann aber überhaupt alles passiert ist, warum sie gewollt hatte, dass ich nicht nach Schweden umziehe, – dazu wollte sie sich nicht erklären. Im Gegenteil: »Mein Herz war nie frei.« Das war alles.

Ja aber verdammt noch mal. Wenn ihr Herz nie frei gewesen war, warum wollte sie dann nicht, dass ich nach Schweden umziehe? Sie wusste doch, dass das für mich wichtig war, und ich auf Schweden, für etwas Bedeutungsloses, niemals verzichtet hätte. Wenn ihr Herz nie frei gewesen war, wieso hat sie sich dann den bedeutungslosen Spaß erlaubt, meine Zukunft in Schutt und Asche zu legen?

 

Und wieso hatte sie dann Michael so sehr beleidigt, wenn sie hier auf Krampf versuchte darauf zu bestehen, dass er mit seinen Kritikpunkten richtig lag?

 

Hatte ich nicht das Recht, auf diese Fragen Antworten zu erhalten?