War der Sturm auf das Reichstagsgebäude für die Rechten doch ein Erfolg?

Die Überschrift klingt, wenn man sich die Ereignisse vom 29. August 2020 ansieht, zwar etwas verrückt, aber man sollte es schon mal etwas genauer betrachten, und wenn man das tut, muss man feststellen, die Reichsbürger und AfD´ler, die versucht haben, den Reichstag zu stürmen und daran gescheiter sind, haben einen großen politischen Erfolg verbuchen können.

 

Ich begründe das auch gerne.

 

Die AfD, die zwar ganz klar rechts steht und in großen Teilen, mehr oder weniger als rechtsradikal einzustufen ist (selbst wenn sie es selbst leugnet) nennt sich selbst gerne „die bürgerliche Mitte“, und was links von ihr ist, ist „links“, im Grunde ein linkgsgrünversifftes Gesocks. Kommunisten halt.

 

Nun gibt es aber wirklich eine bürgerliche Mitte, was man nicht anzweifeln kann, wobei diese bürgerliche Mitte, die auch immer gegen die AfD war und ist, sich, spätestens nach dem 29. August, immer mehr heimatlos fühlen wird.

 

Sie sind die bürgerliche Mitte, können sich aber kaum noch so öffentlich nennen, da die AfD den Begriff für sich vereinnahmt hat.

 

Die „Linken“ haben auch inzwischen ein Problem mit der bürgerlichen Mitte, da eben die AfD diesen Begriff vereinnahmt hat. Und viele Linke wiederum meinen, die wahre bürgerliche Mitte gibt es in dem Sinne gar nicht mehr – bzw. sie schläft.

 

Die bürgerliche Mitte kann im Grunde nur, gerade auch nach dem 29. August, sich nach links oder rechts wenden. Bleibt sie da, wo sie sich bis jetzt befindet, wird sie von der AfD als links angesehen und von den Linken als AfD-freundlich, oder als etwas, was unpolitisch vor sich hindämmert; damit nicht antifaschistisch ist und somit zu dicht an der AfD.

 

Man muss also, um antifaschistisch zu sein, automatisch nach links rücken, um als Gegner der Faschisten zu gelten. Wo sollen aber die hin, die keine Kommunisten sein wollen, die, die die bürgerliche Mitte sein wollen, dieser Begriff aber von der AfD gekapert wurde. Sich selbst als bürgerliche Mitte zu bezeichnen, war von der AfD ein genialer politischer Schachzug; und das eben nicht nur, um sich als „nicht rechts“ darzustellen, sondern auch um die wahre bürgerliche Mitte in eine Identitätskrise zu stürzen.

 

Wo sollen die hin, die von der AfD angeekelt sind, aber auch von dem Sozialismus und dem Kommunismus, und an einer sozialen Marktwirtschaft festhalten wollen, oder sie, wenn sie meinen, diese wurde in den letzten 40 Jahren verraten, wieder zurückhaben wollen.

 

Diese Gruppe ist mit dem Sturm auf den Reichstag endgültig heimatlos geworden, sie müssen sich entscheiden, ob sie mehr nach rechts oder nach links rücken wollen (oder müssen).

 

Und damit haben die Rechten in diesem Lande, am 29. August 2020, mit dem gescheiterten Sturm auf das Reichstagsgebäude, einen großen Sieg errungen. Sie haben die Gesellschaft noch mehr gespalten, sie noch mehr polarisiert. – Darauf kann man aufbauen.

 

Um kurz abzuschweifen:

 

Warum hetzt Donald Trump gegen die Demokraten und nennt sie Kommunisten, was sie nicht sind. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Programm der US-Demokraten ähnelt mehr der FDP und der Werteunion innerhalb der CDU, während die Republikaner unter Trump eher der AfD ähneln.

 

In dem Trump die Demokraten aber als Kommunisten bezeichnet, zwingt er den Wähler sich zu entscheiden, und Trump hofft, ob zurecht oder nicht wird man am Wahltag sehen, dass die Leute, bei der Wahl zwischen Pest (Nationalisten) und Cholera (angebliche Kommunisten), sich für die Pest entscheiden.

 

Trump will spalten und gibt dabei Hetztiraden von sich, damit die Gesellschaft mehr Angst vor den angeblichen Kommunisten hat als vor ihm.

 

Das versuchen auch AfD, Reichsbürger und ähnliche Gesinnte.

 

Und Propagandisten von denen im Netz, und das sind nicht wenige, sind fleißig dabei, diese Spaltung zu fördern. Boris Reitschuster, einer von denen, stellt bei Twitter inzwischen schon die Frage, warum kurz vor dem Sturm der Reichsbürger auf das Reichstagsgebäude nur drei Polizisten dort noch standen. Er unterstellt sogar unterschwellig, es könnte Absicht gewesen sein, um die Reichsbürger dazu zu provozieren, den Reichstag zu stürmen.

 

Nicht die Reichsbürger erscheinen in dem Artikel als die Bösen, sondern die politische Elite, die, mit dem angeblichen Rückzug ihrer „Streitmacht“ die Reichsbürger zu einem Sturm ermutigen wollte, um sie dann als „demokratiefeindliche Vaterlandsverräter“ diffamieren zu können.

 

Dass die Polizei vor der Seite des Einganges in das Reichstagsgebäude ausgedünnt worden war, da auf der Südseite des Gebäudes sich eine große Menge von Demonstranten gebildet hatte, spielt bei der Sichtweise keine Rolle.

 

Die AfD will spalten und sie hat in den sozialen Netzwerken die größere und „fleißigere“ Propagandafront, deren Aktivisten sogar fast täglich damit prahlen, dass die Anzahl ihrer Follower immer mehr werden.

 

Und sie sind, wie auch die AfD, rigoros. Sie reden zwar von Meinungsfreiheit und unterstellen den jetzigen Eliten, immer weniger Meinungsfreiheit zuzulassen, aber sie sind es, die konsequent kritische Stimmen bei den Kommentaren zu ihren Beiträgen blocken. Somit ertönen auf ihren Seiten fast nur Jubelrufe von den Kommentatoren, und wer, auch weil er als bürgerliche Mitte desorientiert, sich auf diese Seiten verirrt, erfährt, da die Kritiker ausgeschaltet wurden, nur die reine, wahre Lehre, vom jubelndem Volk auch noch bestätigt.

 

Und um es mit Gustave Le Bon zu sagen:

 

Das Wiederholte verfestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es als bewiesene Wahrheit angenommen wird.“

 

Und da die, die angeblich sich so für die Meinungsfreiheit einsetzen und den Eliten unterstellen, diese einzuschränken, auf ihren Seiten nur ihre Meinung zulassen (was sie na klar nicht zugeben würden), wird so mancher „Heimatloser“, der nicht Kommunist sein will, dort eine neue Heimat finden.

 

Der Sturm auf das Reichstagsgebäude ist gescheitert, aber es wird die Gesellschaft weiter und tiefer spalten, und im Netz funktioniert die Propaganda der Rechten perfekt.

 

Sich nur von den Bildern des 29. August angewidert abwenden und die Aktion als lächerlich gescheitert anzusehen, würde zu kurz greifen.

 

Auch wenn vor 97 Jahren in München sogar geschossen wurde, was am 29. August 2020 in Berlin nicht passiert ist (wobei das sicher kein ernsthafter Putschversuch gewesen war), hat man auch den Putschversuch in München belächelt. Zehn Jahre später ist vielen das Lachen dann vergangen.

 

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